Eine Religionsgemeinschaft mit zwei Offenbarungen
Gelobtes Land im Wilden Westen
Sie betrachten sich als Christen, stützen sich dabei aber auf eine Sonderoffenbarung, die von den anderen christlichen Kirchen abgelehnt wird. Bekannt sind sie unter der Bezeichnung "Mormonen": die Anhänger der "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage".
8. April 2017, 21:58
Dieter Uchtdorf, Mitglied des Kollegiums der Zwölf Apostel
Ein ödes Hochtal in den Rocky Mountains - weit jenseits des "Wilden Westens" und weit außerhalb der damaligen Vereinigten Staaten von Amerika: Für die Anhänger der "Church of Jesus Christ of Latter-Day Saints", der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage - kurz Mormonen genannt - wurde dieses Hochtal 1847 auf der Flucht vor religiöser Verfolgung zum "gelobten Land".
Mittlerweile hat der US-Bundesstaat Utah etwa zweieinhalb Millionen Einwohner - etwa zwei Drittel davon sind Mormonen. Weltweit zählt die Kirche bereits mehr als zwölf Millionen Mitglieder und gehört damit zu den am schnellsten wachsenden Religionsgemeinschaften der Welt.
Keine Sonntagsreligion
Die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" stellt hohe Ansprüche an ihre Gläubigen: Die Mormonen zahlen freiwillig zehn Prozent ihres Einkommens als Kirchenbeitrag. Die "Latter-Day Saints" gehen mitunter auch für mehrere Jahre auf "Missionseinsatz" ins Ausland, was für ihre Karriere nicht immer förderlich ist, ihnen andererseits aber zu hervorragenden Sprachkenntnissen verhilft.
Als Sonntagsreligion für "Taufscheinchristen" ist die "Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage" nicht geeignet. Sie verlangt vielmehr einen eigenen, umfassenden Lebensstil, der ganz auf die Familie konzentriert ist. Ihr Leitspruch: "Families are forever" - Familien bestehen auch über den Tod hinaus. Ihre Ehen werden daher nicht geschlossen, "bis dass der Tod sie scheidet", sondern im Tempel gesiegelt "auf Zeit und Ewigkeit".
Strenge Bräuche und Sitten
Die "Latter-Day Saints" trinken keinen Alkohol, sie rauchen nicht und verzichten sogar auf Tee und Kaffee. Ihre Sitten sind äußerst streng; auf deren Bewahrung sind sie stolz.
Die Vielehe ist längst abgeschafft. Vorehelicher Sex ist verpönt. In den Büchergeschäften von Salt Lake City findet man beispielsweise Ratgeber wie "Keuschheit für hübsche Mädchen". Auch der Film "Brokeback Mountain" - die Liebesgeschichte über zwei schwule Cowboys - wurde vom größten Kinobetreiber der Stadt nicht gezeigt.
Die Sonderoffenbarung
Die Mormonen zählen nicht zum Kreis der anerkannten Kirchen der Ökumene. Auch die Bezeichnung "Christen" wird ihnen oft abgesprochen. Der Hauptgrund dafür: Sie stützen sich neben der Bibel auf eine eigentümliche Sonderoffenbarung - auf das Buch "Mormon", das von sonst keiner christlichen Kirche anerkannt wird. Für die Mormonen ist es - gleichberechtigt neben der Bibel - ein weiteres Zeugnis für Jesus Christus.
Dieses Buch berichtet u. a. davon, wie Jesu Christi - nach der Auferstehung - seine frohe Botschaft auf dem amerikanischen Kontinent verkündete. Ihm verdanken die "Latter-Day Saints" ihren offiziell ungeliebten Spitznamen, den sie aber selbst häufig genug verwenden. Es ist - wie die Bibel - in einzelne Bücher gegliedert.
Als die Nephiten ausgelöscht wurden
Der Bericht im Buch Mormon beginnt etwa 600 Jahre vor Christi Geburt mit einem Propheten namens Lehi, der knapp vor der Zerstörung Jerusalems durch die Babylonier die Stadt verlässt, auf Geheiß Gottes den Atlantik überquert und dort eine neue Zivilisation - und einen neuen Tempel errichtet.
Von Lehi stammen zwei Völker ab: die gläubigen Nephiten und die ungläubigen Lamaniten. Um das Jahr 400 nach Christus kam es dann zur großen Entscheidungsschlacht. Die Nephiten wurden ausgelöscht - und damit auch der wahre Glaube in Amerika. Nur in den Aufzeichnungen des Propheten Mormons leben sie weiter, der die Überlieferung seines Volkes kurzgefasst auf Metallplatten ritzte und an einem geheimen Ort versteckte. Erst 1.400 Jahre später will sie dann ein junger Hilfsarbeiter namens Joseph Smith wiederentdeckt haben.
Des Propheten Hilfsarbeiter
Joseph Smith wird am 23. Dezember 1805 als viertes Kind einer armen Farmerfamilie in Vermont geboren. Getauft wird er nicht, weil sich sein Vater im Getümmel der damaligen Erweckungsbewegungen für keine kirchliche Gemeinschaft entscheiden will. Mit 17 hat er die ersten Visionen. Ein Engel namens Moroni offenbart ihm, wo das Buch Mormon versteckt sei - in einem Hügel im Staat New York. Am 22. September 1827 darf er die Platten an sich nehmen. Sofort beginnt er mit der Übersetzung der Texte - mit Hilfe einer speziellen Brille, die ihm die rätselhaften Hieroglyphen in altägyptischer Sprache entschlüsselt.
Am 6. April 1830 gründet Smith schließlich die Kirche Jesu Christi - der Zusatz "der Heiligen der Letzten Tage" kommt erst ein paar Jahre später dazu. Die "Mormonen" - wie sie bald genannt worden sind - sind anfangs blutiger Verfolgung ausgesetzt und flüchten in ein entlegenes Tal der Rocky Mountains. Joseph Smith selbst hat dieses "gelobte Land" am Großen Salzsee nicht mehr gesehen: Am 24. Juni 1844 wird er in Carthage, Illinois, erschossen. Seine Anhänger allerdings verehren ihn bis heute, weil er die wahre Kirche Jesu Christi wiederhergestellt hat.
Hör-Tipp
Praxis Spezial, Montag, 24. Juli 2006, 21:31 Uhr
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Links
Wikipedia - Dieter Friedrich Uchtdorf
Die Mormonen