Seit 2008 am Münchner Residenz Theater

Matthias Lier, Schauspieler

Als er sich für die Kunst entschied, war er bereits Diplomingenieur: Matthias Lier, gebürtiger Ostdeutscher, der in Graz Schauspiel studiert. Seit 2008 ist er am Münchner Residenztheater engagiert. Dort war er war u. a. in "Maß für Maß" sowie in der Uraufführung von Berivan Kayas "Gegenreise" zu sehen.

Romeo, Hanno ("Atempause"), Heine-Gedicht "Worte!"

"Mit 14 habe ich begonnen, elektronische Musik zu machen. Denn ich habe zum rational-analytischen Denken immer den Gegenpol gesucht. Ab 17 war ich dann ein fleißiger Theaterbesucher in Meiningen. Aber ich dachte nicht daran, Schauspieler zu werden, denn in der Schule galt ich als der Mathematiker. Und dann kam der Punkt, wo mich die Technik nicht mehr befriedigt hat.

Proportional zum Nachlassen des Interesses an der Wissenschaft stieg mein Interesse an dem, was nicht Wissenschaft ist. Ich wirkte bei kleineren Filmprojekten mit und spielte bei Laientheater-Gruppen. Und bald wurde mir klar, dass ich Schauspieler werden muss - dass ich auf diese Weise etwas zu sagen habe", schildert der 26-jährige Matthias Lier, gebürtig aus Zella in Thüringen, der seit Herbst 2004 Schauspiel an der Kunstuniversität Graz bei Rolf Stahl und Oskar Kravanja studiert, seine Entwicklung.

Für Graz entschied sich der Nachwuchsschauspieler, der bereits Diplomingenieur ist, weil er hier am schnellsten einen Studienplatz bekam. Nach der Matura hatte er zunächst als Praktikant in einer Design-Agentur gearbeitet und dann den Zivildienst geleistet.

Aufgrund seiner Begeisterung für Mathematik und Technik absolvierte er das Studium der Elektrotechnik und begann danach mit dem Studium der Systemwissenschaft, um interdisziplinär arbeiten zu können. "Aber es war eine Illusion - für mich begannen sich die Sachen zu wiederholen."

Unmittelbares Erleben und Sinnlichkeit

"Am Theater fasziniert mich das Unmittelbare - eine Geschichte miterleben zu können. Und die Sinnlichkeit, die ich in dieser Gesellschaft sehr vermisse, ist mir ebenso wichtig", beschreibt Lier seinen Zugang.

Im Laufe seines Studiums hat er bisher u.a. verschiedene Rollen in Marivaux' "Verwirrungen der Liebe", den Soldaten in Fassbinders "Blut am Hals der Katze", den Max in Martin Shermans "Rosa Winkel", sowie die Titelrolle in Kleists "Prinz von Homburg" gespielt. Weiters folgten Orest in Goethes "Iphigenie auf Tauris" sowie Shakespeares "Richard III."

Charaktere, die etwas zu sagen haben

"Mich interessieren vor allem jene Rollen, mit denen ich etwas vermitteln kann, was über den Humor hinausgeht. Was mich interessiert, ist die Vielschichtigkeit einer Figur. Komödien oder Boulevard sind nicht meine Sache. Momentan bin ich ganz gut bei den Opfer-Rollen aufgehoben. Aber auch die Täter interessieren mich. Und die interessantesten sind, glaube ich, die Opfer, die Täter werden", so Lier.

Theater nicht als Ego-Trip

"Die heutigen Rahmenbedingungen am Theater können dazu führen, dass keine Kunst mehr gemacht wird, sondern es nur noch Wiederholung dessen gibt, was bereits etliche Male zu sehen war. Ich bin keine Freund dessen, dass Theater aus dem Theater schöpft. Auch die abstrakteste Inszenierung sollte mit diesem Leben etwas zu tun haben. Der Schauspieler als Künstler benötigt genügend Raum, um sich entfalten zu können. Er muss reflektieren und an diesem Leben teilhaben können", so Lier zu den Problemen seines Berufs.

Seit 2008 am Münchner Residenz Theater engagiert

Seit Beginn des Vorjahres ist Matthias Lier nun Ensemble-Mitglied am renommierten Residenz Theater in München, wo er seither in unter anderem in Shakespeares "Maß für Maß" und "Romeo und Julia", in Ibsens "Brand", in Molieres "Misanthrop", sowie in der Uraufführung von Berivan Kayas "Gegenreise - Returning" gespielt hat.

Zuletzt war er als Brigella in der Schiller-Produktion von "Turandot" zu sehen, die Anfang Juli 2009 Premiere hatte.

Erste Bühnen-Praxis mit "Pygmalion" und Romeo

Seit Beginn seines Schauspiel-Studiums konnte Lier vielfache Bühnen-Praxis sammeln:

So spielte er 2005 im Rahmen des Grazer Sommertheaters in einer Produktion des Theaters absolut den Freddy Hill in Shaws "Pygmalion" in der Regie von Philipp Harnoncourt. Danach wurde er vom Kinder- und Jugendtheater Next Liberty für den Romeo in Shakespeares "Romeo und Julia" engagiert. Mit dieser Produktion gastierte er im September 2005 am Stadttheater Wiener Neustadt.

Davor gestaltete der Nachwuchsschauspieler auf Einladung des Internationalen Humboldt-Kollegs erfolgreich eine musikalisch begleitete Collage mit dem Titel "Harry ... Heinrich ... Henri ... Heine. Deutscher, Jude, Europäer" mit Lyrik und Prosa aus dem Werk des Dichters im Grazer Meerscheinschlössl.

Film-Hauptrolle in "Atempause"

Im Sommer 2005 beendete Lier, der auch am Medium Film interessiert ist, die Dreharbeiten zu dem frei produzierten Spielfilm "Atempause", in dem er die Hauptrolle spielt und der 2006 Premiere hatte. "Dieser Actionfilm handelt von einem jungen Mann, der in die Stadt kommt und mit dem Leben dort nicht fertig wird. Als Resümee erlebt er eine lange Atempause."

Literaturperformance in Graz

Im April 2007 war Matthias Lier in Christian Winklers Trilogie "Graz, ich selbst, und die Eroberung des Universums inkl. Paralleluniversen - Life of Graz Vol.2" in der Rolle des Walter im Schauspielhaus Graz zu sehen.

Am Freitag, 4. Mai 2007, ist er im Rahmen des Grazer Forum Festival zu sehen - als Mitwirkender der Literaturperformance "Kick it like Frankreich - der Aufstand der Studenten" der Autorin Sarah Fötschl.

Erstaufführung von Durringer-Stück

Im Jänner 2007 wirkte Lier in der Österreichischen Erstaufführung von Xavier Durringers "Ganze Tage - Ganze Nächte" im Theater im Palais in Graz mit. Regie führte Nikolaus Büchel.

Durringer, Jahrgang 1963, der heute zu den wichtigen zeitgenössischen Dramatikern und Drehbuchautoren Frankreichs zählt, zeigt in dem Stück das Leben junger Menschen in einer Vorstadt einer Metropole.

Ein "Kind des Ostens"

Matthias Lier, der in Zella, etwa zwei Kilometer von der einstigen deutsch-deutschen Grenze entfernt, in einem nicht linientreuen Elternhaus aufwuchs, hat die "Wende" 1989 bewusst miterlebt. "Die Zeit in der früheren DDR hat mich maßgeblich geprägt. Aber auch die Zeit nach dem Mauerfall - die Zeit des Umbruchs, der Euphorie, der Enttäuschungen, der Assimilation und des Zerfalls. Diese Zeit bis zu meinem 18. Lebensjahr ließ mich ein Kind des Ostens werden", stellt Lier fest.

"Ich sehe, was dort aus vielen Menschen geworden ist. Es ist traurig, wie man über den Osten pauschalisiert und sich über die Menschen lustig macht. Ich denke dann: Ihr kennt ja gar nicht deren Ängste. Und diese Ängste gibt es auch in meinem näheren Umfeld", erzählt der nachdenkliche junge Künstler mit kritischer Haltung zu überkommenen Hierarchien.

Der notwendige Freiraum für Kreativität

Wie die Zukunftswünsche des erfolgreichen Jungschauspielers lauten?

"Mein größter Wunsch wäre es, am Theater und beim Film in einem Umfeld arbeiten zu können, wo ich mit vielen Menschen kommunizieren und mein Leben führen kann - ohne dass sich beides im Weg steht. Dann ist es möglich, diesen Beruf so auszuüben, dass er zurecht in die Kategorie Kunst eingeordnet wird", resümiert Matthias Lier.