Michael Köhlmeier

ORF/JOSEPH SCHIMMER

Weihnachtsprogramm

Before Midnight - Drei Musiknächte mit Michael Köhlmeier

Drei Nächte von 22.00 Uhr bis Mitternacht am 24., 25. und 26. Dezember darf ich - was für eine Freude! - die schönsten Musikstücke vorstellen, die mir in meinem Leben begegnet sind.

Als die Beatles ihr Album "Beatles for Sale" herausbrachten, war ich gerade fünfzehn und ging aufs Gymnasium. Ich war ein Frühaufsteher wie mein Vater. Meistens saßen wir beide in der Küche, lange bevor die anderen der Familie aufwachten, meine Mutter, meine Schwester, unsere Großmutter.

Wir brühten Kaffee, schnitten Brot, deckten den Tisch, redeten wenig - und hörten Radio. Wir tranken unseren ersten Kaffee und warteten auf die Nachrichten. Da spielten sie No Reply. Mein Vater, gerade wollte er die Tasse zum Mund führen, hörte die ganze Länge des Songs reglos zu, wie im Lexikon der Mimik: Mund und Augen offen. Dann sagte er: "Mein Gott, ist das schön!"

Keiner meiner Freunde hatte einen Vater, der einen Song der Beatles schön gefunden hätte. Ich war sehr stolz auf meinen Vater.

Er fragte mich, ob ich mehr von dieser Musikgruppe wisse, ob sie noch andere so schöne Stücke komponiert hätten, wer die überhaupt seien. Ich war nicht nur stolz, ich war glücklich. Ich wusste sehr viel über die Beatles und packte alles aus. Mein Freund Reinhold Bilgeri und ich hatten ja nur aus einem Grund gelernt, Gitarre zu spielen, und lernten immer noch, nämlich, damit wir wie John Lennon und Paul McCartney würden.

Zu meinem Geburtstag schenkten mir meine Eltern einen Plattenspieler, einen sehr billigen aus leichtem beigen Plastik. Von meinem zusammengesparten Taschengeld kaufte ich mir das Album. Die Nummer "Eight Days a Week" versetzte meinen Vater in solche Verzückung, dass er immer wieder die Nadel von der Platte hob, um sie erneut an den Anfang zu setzen. Irgendwann sagte ich zu ihm: "Ist das mein oder ist das dein Plattenspieler?" Nicht böse habe ich es gesagt, sondern stolz und glücklich, einen Vater zu haben, der die gleiche Musik liebte wie ich.

Ein junger Musikliebhaber, wie ich einer war, der macht sich keine Gedanken, der hört einfach und freut sich. Es geht mir bis heute nicht viel anders. Ein bisschen aber denke ich inzwischen über meine Musikleidenschaft nach. Ich mag alle Musik, tatsächlich alle, ich sage dazu: wenn sie gut ist. Aber das setze ja auch wieder nur ich selbst fest. Ich habe in den vielen Jahren meines Lebens eine besondere Liebe zum Song gewonnen. Die Lieder von Franz Schubert zähle ich großzügig zum Genre Song. Ich sage, sie sind der Übergang vom klassischen Kunstlied zum Song, soll das stimmen oder nicht - egal.

Der Song ist in seinen besten Beispielen ein aufs Wesentliche konzentrierter Roman.

Die Lieder des großen Country-Sängers Hank Williams - "Shakespeare der kleinen Leute" - sind dafür wunderbare Belege. Ein Mann bricht aus dem Gefängnis aus, flieht über Berg und Tal, will ein neues gutes Leben beginnen, begegnet einer Frau, sie verlieben sich ineinander, planen ein gemeinsames Leben, Familie, Kinder, ein Sheriff entdeckt ihn, er muss zurück ins Gefängnis, er hofft, die Frau werde auf ihn warten – "On The Banks Of The Old Pontchartrain", zwei Minuten vierundfünfzig Sekunden ...

Text: Michael Köhlmeier

Service

Mehr von Michael Köhlmeier gibt es im Ö1 Podcast: Michael Köhlmeier erzählt in "Mein privates Glück" die Geschichte seiner Eltern und jene seiner frühen Kindheit.
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