Was fasziniert uns so an Morden?
Killer, Krimis, Kommissare
"Morde sind zwar unerquicklich für das jeweilige Opfer", meint Jörg von Uthmann, "haben aber auch ihre guten Seiten, denn sie beflügeln Kunst und Wissenschaft." Wie sie das seit Jahrhunderten tun, beschreibt er auf höchst vergnügliche Art in seinem Buch.
8. April 2017, 21:58
Geehrte Mörder, verwendet kein Arsenik und keine metallischen Gifte. Sie hinterlassen Spuren. Verwendet Pflanzengifte! Vergiftet eure Väter, vergiftet eure Mütter, vergiftet eure ganze Familie, und ihr Erbe wird euch gehören! Habt keine Angst! Eure Tat wird ungesühnt bleiben!
Das Plädoyer eines französischen Staatsanwaltes im Jahr 1823 zeigte Wirkung. Dr. Edmé Castaing wurde zum Tode wegen Giftmordes verurteilt, obwohl der tatsächliche Nachweis eines Pflanzengiftes in einem Körper erst rund 50 Jahre später gelang.
Jede Menge Arbeit für Scotland Yard
Auf Beweise kam es in frühen Mordprozessen selten an. Bis tief ins 18. Jahrhundert galt die Folter als durchaus sachgerechte, moderne Methode, um Verdächtigen Geständnisse zu entlocken. Erst im 18. Jahrhundert, nachdem die Zweifel an der Zulässigkeit und Zuverlässigkeit der Folter gewachsen waren, wurde erstmals eine kriminalpolizeiliche Abteilung mit Beweisfragen befasst. In Paris das "Bureau de sûreté", in London "Scotland Yard".
Die neue Einrichtung bekam gleich jede Menge Arbeit. London war die gefährlichste Stadt Europas. Straßenräuber überfielen ihre Opfer am helllichten Tag und teilten sich ihre Beute mit korrupten Richtern. Jonathan Wild, die Vorlage für den Bettlerkönig Peachum aus der "Dreigroschenoper", herrschte über die Unterwelt wie später Al Capone über Chicago.
1894 wurde erstmals ein Mörder anhand eines Fingerabdrucks überführt. 1901 entdeckte Karl Landsteiner in Wien die Blutgruppen und noch im selben Jahr half dies bei der Aufklärung eines weiteren Falles.
Erster Mörder: Ein Orang-Utan
Ebenso schnell wie die kriminalistischen Methoden der Mörderjäger entwickelte sich die neue literarische Gattung des Kriminalromans. Der amerikanische Journalist, Lyriker und Erzähler Edgar Allan Poe war es, der den ersten Detektiv zu einem Zeitpunkt in die Welt setzte, als es das Wort noch gar nicht gab. In seiner Kurzgeschichte "The Murders of the Rue Morgue", die 1841 erschien, löst der dekadente Franzose Chevalier César Auguste Dupin einen Doppelmord ohne erkennbares Motiv. Kein Wunder, als Täter wird schließlich ein Orang-Utan entlarvt.
Charles Dickens führte mit Chief Inspector Field den ersten Detective ein, der sich auch so vorstellt. Was folgte, ist allzu bekannt: Helden wie Pater Brown, Hercule Poirot oder Miss Marple eroberten die Herzen ihrer Leser im Sturm. Einer jedoch stellte sie alle in den Schatten: Sherlock Holmes.
Sein Ruhm ist bis heute ungebrochen. Er ist mit großem Abstand - noch vor Napoleon, Jesus, Dracula und Tarzan - der am häufigsten porträtierte Leinwandheld. Was Holmes von seinen Vorgängern unterscheidet, ist der scharfe Umriss seines Charakters. Er raucht Pfeife, spielt Geige und injiziert sich dreimal am Tag Kokain. Es ist interessant, dass die viktorianische Leserschaft an der Sucht ihres Helden keinen Anstoß nahm, wohl aber am Ehebruch in der Kurzgeschichte "The Cardboard Box".
Spade, Marlowe & Co.
In London entstand der "Detection Club", der nur Autoren wahrer Detektivgeschichten aufnahm. Sie mussten sich an strenge Gebote halten und einen feierlichen Eid schwören, vor dem Leser kein Indiz geheim zu halten. Edgar Wallace, der "König des Thrillers", gehörte diesem Club nicht an.
Autoren wie Raymond Chandler oder Dashiell Hamett brachen in den 1930er-Jahren mit der britischen "Who done it?"-Tradition radikal. Die Aufklärung des Mordes durch Helden wie Sam Spade, Philip Marlowe oder Perry Mason gerieten zur Nebensache. Was zählte, war die Atmosphäre und nicht die logische Stringenz, was auch die folgende Anekdote beweist.
Howard Hawks, der Regisseur von "The Big Sleep", gestand nach der Lektüre des Buches, nicht alles begriffen zu haben. Als er ein Telegramm an Chandler schickte und ihn fragte, wer den Chauffeur erschossen habe, kabelte Chandler zurück: "Ich weiß es auch nicht."
Schockierend und faszinierend
Amüsante Fußnoten der Kriminal-, Literatur- und Filmgeschichte sind es, die das Buch "Killer, Krimis, Kommissare" lesenswert machen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit pickt sich Jörg von Uthmann die interessantesten Fälle heraus und serviert die oft abstoßenden Details mit viel Witz und Ironie. Nicht entdeckte Täter, zweifelhafte Freisprüche, unschuldig Verurteilte, berühmte Giftmischer - Mord ist das schockierendste, aber auch faszinierendste Verbrechen der Menschheit.
Wie wäre es sonst zu erklären, dass etwa das Fernsehen von Krimiserien derart dominiert wird und seinem Publikum mit alten Bekannten und gewohnten Schauplätzen eine Art Ersatzfamilie bietet. Bequem am Sofa liegend wird der Zuseher Zeuge von Affären, Intrigen und Verbrechen, die nahe scheinen, sich aber dennoch in sicherer Entfernung abspielen.
Er wird mit Fragen konfrontiert, die ihm zu denken geben, ohne dass er verpflichtet wäre, etwas zu ihrer Beantwortung beizutragen. In der Realität würde ihn ein Mord zutiefst erschrecken. In der Krimiserie hat er die tröstliche Gewissheit, dass die in Unordnung geratene Welt innerhalb der nächsten Stunde ihr Gleichgewicht wieder findet, dass der Mörder entlarvt wird und er selbst beruhigt ins Bett sinken kann.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Jörg von Uthmann, "Killer, Krimis, Kommissare. Kleine Kulturgeschichte des Mordes", c. H. Beck verlag, ISBN 3406541151