Als Österreich war, wie es ist

Es ist ein Mönch entsprungen

Charles Sealsfield wurde 1793 als Karl Postl in Österreich geboren. In Engalnd veröffentlichte er "Austria As It Is", eine bis heute erstaunliche Abrechnung mit jenen, die gerne hätten, dass ihre Untertanen nicht bis drei zählen können.

Man könnte, wenn man unbedingt wollte, Charles Sealsfield in die Tradition der literarischen Österreich-Beschimpfer einreihen, ja, vielleicht sogar als Begründer einer solchen Tradition ansehen - wenn es eine solche denn überhaupt gibt. Man könnte, wie uns scheint, mit einigem Recht daran zweifeln und vermuten, dass all das wohlfeile Reden von Österreich-Beschimpfern aus enttäuschter Liebe und von Übertreibungskünstlern aus Verzweiflung am Normalbetrieb nur ein ganz gewöhnliches, wenn auch handliches Klischee ist.

Was den Österreich-Beschimpfer angeht: Charles Sealsfield war wohl, wie er sogar in seinem 1828 veröffentlichten Pamphlet gegen Österreich zugab, in Österreich ("Alt-Österreich", in einem Dorf des "Gurkenlandes" um Znaim) geboren, war auch zunächst noch brav katholisch und Mönch bei den Kreuzherren zu Prag, entfloh aber dann, um spurlos verschwunden zu bleiben und mit neuer Identität weiterzuleben. Erst nach seinem Tod - im schweizerischen Exil - stellte sich heraus, dass der politische Romancier und "world famous american author" Charles Sealsfield bis zu seinem, vermutlich, 30. Jahr Carl Magnus Postl aus Poppitz war. Höchstwahrscheinlich. Wirklich juristisch beweisbar ist Postl/Sealsfields Identität bis heute nicht.

Österreichisch-schweizerischer Amerikaner

Ist so einer ein österreichischer Autor? Einer, der noch dazu unter Mitnahme seiner neuen Identität als Staatsbürger der USA, aber auch um seinen Glauben an dieses Amerika gebracht, sein Leben in Solothurn in der Schweiz beschließt? Und doch hat dieser österreichisch-schweizerische Amerikaner in seiner Rolle als strikt objektiver Engländer etwas einzigartig Österreichisches geschaffen.

1828, mit 35, taucht Mister Sealsfield nach seinem ersten Aufenthalt in den USA für ein Jahr wieder in Europa auf - wo man einen gewissen Carl Postl nach wie vor steckbrieflich sucht - und gibt sich als reisender Engländer, aus Österreich gebürtig, aus, der in London seinen gepfefferten Bericht über "Austria As It Is" erscheinen lässt.

Wider den Kaiser Franz

Das Büchlein ist eine geradezu denunziatorische Polemik gegen das Regime des Kaisers Franz, gegen die Habsburger überhaupt, vernichtet natürlich auch Metternich, gleich ein ganzes Kapitel lang, macht aber auch nicht Halt vor den hiesigen Beamten und schon gar nicht vor dem Spitzelwesen, das sich, wie der Mister von der Insel vermutet, zu einem einträglichen und abwechslungsreichen Nebengeschäft in der sonstigen dumpfen Ödnis dieses Landes entwickelt habe. Und auch der heutige, von so viel Direktheit in lockerem Stil verblüffte Leser ahnt: Das ist keine Übertreibungskunst, das war so zu Zeiten des guten Kaisers Franz.

Charles der Entsprungene hat dieses sein Zweitlingswerk als Schriftsteller (das erste war ein durchaus wohlwollend-propagandistisch gedachter Reisebericht über Nordamerika) späterhin nur ein einziges Mal gesprächsweise erwähnt: Das sei ein "Werkchen" gewesen, über das aber immerhin ein ganzes Herrscherhaus außer sich geraten sei, so außer sich, dass "Austria As It Is" bis 1919 in Österreich verboten blieb.

Und in manchen Passagen weiß der Leser, sofern gelernter Österreicher, heute noch nicht: Ist das nun Österreich, wie es war, oder womöglich, wie es ist?

Hör-Tipp
Literatur am Feiertag, Montag, 5. Juni 2006, 14:05 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Charles Sealsfield, "Austria As It Is", Ariadne Verlag, ISBN 1572411112