Revolution beginnt im eigenen Strafraum

Mexiko

Am 9. Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Einen Monat lang wird "König Fußball" das dominierende Thema in den Medien und der Gesellschaft sein. Bis dahin stellt Ihnen oe1.ORF.at die 32 teilnehmenden Nationen vor.

Im Herbst 2005 hat Mexiko die Fußball WM der so genannten U17 - der bis zu Siebzehnjährigen - gewonnen: ein deutliches Signal dafür, wie sehr sich der Sport im Land in den vergangenen Jahren entwickelt hat - und eher erstaunlich, dass es so lange gedauert hat, bis die Fortschritte auch öffentlich sichtbar wurden.

In Mexiko, dem Land der harten Farben und der scharfen Kontraste, ist Fußball immer eine große Oper. Er unterscheidet sich damit in nichts von der Politik, die seit je heldenhafte Auftritte und turbulente Abstürze garantiert.

Im Jahr 2000 stürzte die PRI, die "Partei der institutionalisierten Revolution" nach einer Regentschaft von sieben Jahrzehnten. Der neue konservative Präsident Vicente Fox versprach ein jährliches Wachstum von sieben Prozent. Erreicht worden ist knapp mehr als die Hälfte, begleitet immerhin von makro-ökonomischer Stabilität. Doch nach einem Freihandelsabkommen mit den USA sind viele Kleinbauern verarmt. Sie gehören jetzt zu den Massen, die trotz immer schärferer Kontrollen täglich ihr Glück jenseits der Grenze suchen - beim mächtigen Nachbarn USA.

105 Millionen Einwohner zählt Mexiko, 15 Millionen leben in den USA. Das war ein Grund für die Chivas von Guadalajara, den populärsten Fußballklub im Land, eine Filiale im Nachbarland zu eröffnen. Sportlich war das Abenteuer in der US-Liga eine Katastrophe, in Sachen Marketing hingegen ein voller Erfolg: Kein anderer Klub verkaufte so viele Leibchen, kein anderer fand so viele Sponsoren. Hinzu kommt, dass der Sprung über die Grenzen die Einnahmen ganz direkt erhöht: In den USA erhält der Klub pro verkaufter Eintrittskarte 19 Dollar, in Mexiko selbst sind es ganze vier.

Am 2. Juli - nach sechs Jahren unter Vicente Fox - finden wieder Wahlen statt - eine Woche vor dem Endspiel der WM in Deutschland. Die PRI hat nach dem üblichen Hauen und Stechen unter den Kronprinzen ihren Kandidaten gefunden: Roberto Madrazo, den ehemaligen Gouverneur des Teilstaates Tabasco. Ein früherer Energieminister im Kabinett von Vicente Fox tritt für die Regierungspartei an. Der ehemalige Bürgermeister von Mexiko City, Andrés Lopez Obrador, vertritt die Linke.

Das sei sowieso alles derselbe Klüngel, der nichts verändern werde, schimpft Comandante Marcos, der legendäre Chef der Zapatisten, der vor zwölf Jahren einen Aufstand der indianischen Völker im Süden des Landes angeführt hat. Jetzt tourt er mit dem Motorrad durchs Land, um Mitglieder für eine neue Bewegung zu sammeln. Derweil bereiten sich seine vermummten Krieger auf einen neuen Kampf vor: ein Fußballspiel gegen Inter Mailand.

Die Reaktion von Inter-Präsident Massimo Morati dazu ist eindeutig. Sie verbirgt seine Sympathie für die Rebellen nicht. "Sie bilden den Sauerstoff der Demokratie", sagt er und findet auch eine Parallele zum angekündigten Kräftemessen auf dem Feld: "Jede Revolution beginnt im eigenen Strafraum und wird vor das gegnerische Tor getragen". Übrigens: Die Zapatisten werden Heimvorteil haben und das Maisbier liefern. Die Fremden bringen die Bälle mit. Wann genau das historische Match stattfindet, steht allerdings noch nicht fest.

Dieser Text entstammt einer Kooperation mit "Anstoss", der Zeitschrift des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA WM 2006; ein Projekt von André Heller.

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Hör-Tipp
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Links
Deutschland 2006
FIFA Worldcup
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Anmerkungen
CONCACAF
Der CONCACAF Gold Cup ist das vom nord- und mittelamerikanischen und karibischen Fußballverband, kurz CONCACAF (Confederation of North and Central American and Caribbean Association Football) ausgerichtete Turnier zur Ermittlung des kontinentalen Meisters. Auf Einladung spielen seit einigen Jahren auch südamerikanische Teams mit. Zwischen 1963 und 1989 hieß das Turnier CONCACAF-Meisterschaft. Es wurde erstmalig 1963 veranstaltet und ersetzte die CCCF-Meisterschaft (1941-61), an der nur die mittelamerikanischen und karibischen Verbände teilnehmen konnten. In den letzten Jahren diente der Gold Cup auch als Qualifikationsturnier für die Copa América.

CCCF
Der CCCF (Confederación Centroamericana y del Caribe de Fútbol) wurde 1938 gegründet und war der Fußballverband von Mittelamerika und der Karibik. Er schloss sich 1961 mit dem nordamerikanischen Verband NAFC (North American Football Confederation) zur CONCACAF zusammen. Das letzte Turnier fand 1961 statt, die Organisation der Wettbewerbe für Nationalmannschaften wurde danach von der CONCACAF übernommen. Die CCCF-Meisterschaft war der Vorgänger des CONCACAF Gold Cups, bei dem der CONCACAF-Kontinentalmeister ermittelt wird.