Tabakkonsum vs. Schweinsbraten

Rauchen Sie?

Von "Verteidigung einer Leidenschaft", wie der Untertitel verspricht, kann bei Imre von Heydt keine Rede sein. In seinem Sachbuch wehrt er sich allerdings gegen die derzeitige Hetze und das Rauchen als alleinige Gesundheitsgefährdung zu betrachten.

"Es wird ein Wein sein und wir wean nimma sein" lautet ein bekanntes Wienerlied. Puritaner, oftmals amerikanische Touristen, die Heurigenlokale besuchen und dabei sehen, wie sich die Einheimischen singend ein Viertel Veltliner ins Hirn stoßen, können nur den Kopf schütteln. Noch vor einigen Jahren hätten solche globetrottenden Puritaner in Frankreich der nackte Angstschweiß befallen. Da rief nämlich der Staat seine Mitbürger zu moderaterem Weinkonsum auf - mit den Worten: "Eine Bouteille pro Tag - das genügt!"

Mit all dem könnte bald Schluss sein, denn erst vor kurzem haben britische Wissenschaftler eine Statistik veröffentlicht, wonach Alkoholkonsum weltweit fast genau so viele Gesundheitsprobleme verursache wie das Rauchen. Folgerichtig sollte auf Zigarettenpackungen nicht nur die Information zu lesen sein "Rauchen tötet", sondern auch Bier, Wein und Schnaps.

Vorsicht ist geboten

Auch zu viel Sex tötet, der Verzehr von fettem Schweinefleisch tötet und Wurstwaren töten ganz allgemein. Was bleibt da noch übrig? Die Antwort ist klar: frischer Feldsalat mit Magerjoghurtdressing und ein wenig Putenbrust. Dazu kredenzt man ein Glas Mineralwasser. Doch halt! Es muss ein stilles Wasser sein, denn Produkte mit spritziger Kohlensäure bringen den Magen in Wallung und erhöhen unter Umständen den Blutdruck. Und so fragt man sich ganz ängstlich: Kann Mineralwasser töten?

Ganz so spaßig ist die ganze Sache nicht, wie der Journalist Imre von der Heydt in seinem Buch "Rauchen Sie? Verteidigung einer Leidenschaft" darlegt. Der sich als Raucher outende Autor leugnet keineswegs die große Schädlichkeit des Tabakkonsums, aber er fragt sich, wohin denn die immer strenger werdenden Verbote führen sollen. In den USA überlegt man ja ganz konkret, rauchenden Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder zu entziehen - auch wenn sie nicht neben ihren lieben Kleinen qualmen, sondern vor dem Haus, unter dem Auto oder sonst wo.

Unlogische Folgerungen

Beim Lesen des Buches sieht man den Autor förmlich vor sich: wie er die Fäuste ballt und sich hin und wieder eine Verzweiflungszigarette anzündet. Wenn es etwa stimmt, dass 75 Prozent der Sterbefälle in der westlichen Gesellschaft auf Krebs- und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen sind, dann kann logischerweise das Rauchen nicht der Hauptgrund für diese Todesarten sein, denn bei weitem nicht 75 Prozent aller Menschen rauchen!

Auf Zigarettenpackungen ist zu lesen, dass Rauchen impotent macht. Von der Heydt gerät dabei ins Grübeln. In den 50er und 60er Jahren qualmten viel mehr Menschen als heute - zugleich sind dies die Jahre des Babybooms in Österreich und Deutschland gewesen.

Propaganda überall

Imre von der Heydt beißt wutentbrannt in den Filter seiner Zigarette, denn er weiß, woher diese Wirrungen des öffentlichen Denkens und Empfindens herrühren: Es ist die allmächtige Propaganda des gesunden Lebens, der keiner mehr entkommt.

Ob Fitness-Welle, Diät-Wahn oder auch nur der regelmäßige Arzt- oder Apothekenbesuch - die fortschreitende Medizinisierung unseres Alltagslebens ist allgegenwärtig. "Hauptsache gesund!" lautet das Motto: gesund essen, gesund schlafen, gesund arbeiten. Am besten auch: gesund sterben!

Das elfte Gebot

Natürlich weiß von der Heydt, dass mit den ersten Pfeife rauchenden Herren im 17. Jahrhundert auch die harten Gegner des Tabakqualms ihre großen Auftritte hatten. So stellte der türkische Sultan Murad IV. während seiner Herrschaftszeit von 1623 bis 1640 das Rauchen unter Todesstrafe. Bis zu 25.000 Raucher soll der Sultan einen Kopf kürzer gemacht haben. Da verstehe man noch das Sprichwort: Jemand rauche wie ein Türke?!

Interessant ist, wie die römisch-katholische Kirche immer hin und her gerissen war, zwischen Verbot und Duldung des Rauchens. Zeitweise war es sogar gestattet, in Kirchen, ja, sogar im Petersdom zu rauchen! Tabak-Schmähschriften und Bannpredigten von Priestern wurden Mitte des 19. Jahrhunderts vom Vatikan offiziell untersagt.

Ganz anders die protestantische Seite: In der Schweiz des 17. Jahrhunderts wurde Tabakrauchen mit Auspeitschung bestraft. In Zürich drohte rauchenden Mitbürgern die Landesausweisung. Und der Berner Stadtrat erweiterte die zehn Gebote um ein elftes: "Du sollst nicht rauchen!"

Achtung! Puritanismus!

Die heutigen rigiden Maßnahmen gegen Raucher in den westlichen Gesellschaften stellen für von der Heydt eine Entmündigung dar, die den Bürgern das Recht auf Selbstbestimmung nimmt. Aber es gibt da noch etwas anderes: Die Anti-Rauch-Kampagnen zeigen auch die Urangst unserer Gesellschaft: Es ist die Angst vor dem Tod und die Angst vor dem Nichts. Ein Mensch, der bewusst raucht, trinkt und fetten Schweinsbraten isst, ist einer, der sein Leben sehr wahrscheinlich verkürzt und damit so tut, als ob es nach dem Tode noch etwas gäbe. Der naturwissenschaftliche Puritanismus unserer Tage sagt hingegen: Verlass ist nur auf den Körper und nicht auf den Himmel.

Ob aber die Seele gesund ist, entscheidet kein Fitnessprogramm, sondern das ethische Verhalten zu den Mitmenschen. Rauchen ist mit Sicherheit äußerst schädlich, aber der rein auf den Körper zentrierte Puritanismus unserer Tage ist es ebenso. Auch davor sollte man die Gesellschaft warnen.- "Achtung! Puritanismus verursacht seelische Impotenz und kann tödlich sein."

Mehr dazu in Ö1 Inforadio:
Passivrauchen
Am (Nicht-)Rauchen scheiden sich die Geister
Mit TV-Spots gegen Alkoholkonsum Jugendlicher

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Buch-Tipp
Imre von der Heydt, "Rauchen Sie? Verteidigung einer Leidenschaft", DuMont Verlag, ISBN3832179313