Mit Eigenlob zum Erfolg
Ich fühle mich unrund!
Selbstüberschätzung gehört zum Literaturbetrieb wie die Existenzangst. Neu ist allerdings, dass Eigenlob zunehmend als Grundlage einer erfolgreichen Künstlerexistenz missverstanden wird. Da hat die Politik aber einiges angerichtet.
8. April 2017, 21:58
Ich weiß nicht. Irgendetwas ist anders. Und das macht mich unrund. Von einem sehr bekannten und streitbaren österreichischen Schriftsteller wird erzählt, er habe seinen Verlag dazu angehalten, seine Bücher rasch ins Schwedische übersetzen zu lassen, damit das Nobelpreiskomitee in der Lage sei, sich mit seinem Oeuvre vertraut zu machen. Er fühle, dass er ein heißer Kandidat sei, soll er gesagt haben. Der Preis ging dann wohl nach Österreich, allerdings an Elfriede Jelinek. Der Schriftsteller soll aus allen Wolken gefallen sein.
Mit dieser Anekdote aus dem an sich mäßig witzigen Literaturbetrieb konnte man eine Zeit lang ungläubiges Lachen in so manche Kollegenrunde zaubern. Auch als vor fünf Jahren ein junger Amerikaner namens Dave Eggers ein Buch mit dem Titel "Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität" vorlegte, machte einen das noch neugierig. Wie viele Schriftsteller sind schon mit der Gabe der Selbstironie ausgestattet? Dafür reichen die Finger einer Hand.
Es gab also eine Zeit, da war die Komik freiwillig oder unfreiwillig, aber es handelte sich immer noch um Komik. Aber jetzt ist irgendetwas anders. Jetzt tritt ein junger österreichischer Schriftsteller, der lange daran gearbeitet hat, noch als "junger" österreichischer Schriftsteller medial wahrgenommen zu werden, vor die Fernsehkamera und behauptet, sein Buch werde die Literatur verändern, es sei ein Buch, von dem noch Generationen zehren werden. Er meint das mindestens so ernst wie sein älterer Kollege die selbst zugeschriebene Nobelpreiswürdigkeit. Der Unterschied zwischen den beiden ist der, dass niemand über den Jüngeren lacht. Selbstüberschätzung ist kein Witz mehr, sondern ein probates Mittel, um die öffentliche Wahrnehmungsschwelle zu überschreiten.
Nicht, dass mich diese Entwicklung im Schlaf überrascht hätte und ich nun nach dem Aufwachen die Welt nicht mehr verstünde. Sie kam nicht plötzlich, sie kam auch nicht auf leisen Sohlen, im Gegenteil, sie war und ist der Ausdruck eines politischen Willens.
Wer eine Gesellschaft umbauen will, muss die Menschen neu formatieren. Das klingt nach Science-fiction oder Totalitarismustheorie - und doch ist genau das der Punkt, der mich beunruhigt: dass ein politischer Wille, der ja nichts anderes ist, als der Wille einer bestimmten und überschaubaren Klasse, eine Gesellschaft so effizient durchdringen kann wie Karies meine Zähne. Der süße Geschmack tötet das Bewusstsein dafür ab, dass sich etwas ablagert und bis zur Wurzel durchfrisst. Am Schluss wird der zerstörte Zahn gezogen, an seiner Stelle wird ein neuer, künstlicher, kariesresistenter implantiert. Mit schönen Prothesen dürfen wir dann die Welt außerhalb unser selbst verachten. Erfolg ist, strahlend dort angelangt zu sein, wo wir nie hinwollten.
Noch nie bin ich so vielen Schriftstellern begegnet, die jegliche Kritik mit ihren Prothesen auf der Stelle zerbeißen oder gleich selbst als ihre eigenen Kritiker aufzutreten trachten. Noch nie habe ich auf engstem Raum so viel Eigenlob vernommen, wie kürzlich auf einer Literaten-lastigen Hochzeitsparty in einer mittelgroßen Wiener Wohnung.
Wer das Maul voll falscher Zähne hat, belästigt seine Umwelt leicht mit schlechtem Atem. Und in der Literatur war - jedenfalls bis vor kurzem noch - Mundgeruch der Preis für Eigenlob. "Jedes Lob in eigenem Munde verfault und verdirbt" schrieb um 1230 schon Heinrich von dem Türlin. Eine Zuspitzung jenes Befundes, den Hartmann von Aue einige Jahrzehnte zuvor in seinem "Iwein" gab:
Der Unedle spielt sich überall in der Vordergrund durch Selbstlob, denn niemand wäre um seinetwillen so verrückt, seinen geringen Wert zu rühmen.
Na ja, das war ritterlich gesprochen und wer wollte heute noch Haltung einfordern. Eine dicke Haut ersetzt bekanntlich das Rückgrat, deshalb fahren Schriftsteller lieber mit Politikern durch die Weltgeschichte, erklären dem Volk die Europäische Union und leisten sich einen Mediencoach. Ein altes Sprichwort sagt auch: Die Braut scheißt in die Kirche, wenn sie bekannt werden will.
"Klopfen Sie sich täglich stolz selbst auf die Schulter", lese ich in einer Anleitung zur Selbst-PR. Und in einem Buch mit dem Titel "Eigenlob stimmt" erfahre ich, dass Erfolg nur zu zehn Prozent auf Qualifikation und Kompetenz, hingegen zu 90 Prozent auf Image beruht. Darüber könnte man lachen, wäre nicht eben diese bedingungslose Egozentrik die zentrale Botschaft einer Politik, die es auf die vorhin erwähnte Neuformatierung abgesehen hat.
Wer keine oder zu wenig Beachtung findet, weil die Welt zu groß ist und die Interessen zu vielfältig sind, der beachtet sich eben selbst. Aber nicht im Sinne von Selbsterkenntnis, sondern von Selbststimulation. Das ist neu: Ich brauche nicht mehr die Außenwelt, die Anderen, die Teile meines Selbst spiegeln, Teile, die ich dann zu dem zusammensetze, was man Ich nennt. Ich brauche nur mehr mich selbst und die Außenwelt als Publikum, dem ich eine Vorstellung von mir gebe. Ich definiere also mich selbst, schreibe mir selbst eine Rolle zu und bringe die Außenwelt dazu, mir zu glauben. Das nennt sich dann Erfolg und um nichts sonst geht es als um Erfolg.
Was dabei aufgelöst wird, ist das, was die Psychoanalyse als das kritische Selbst bezeichnet. Üblicherweise werden die Grenzen des Selbst vom Ich realistisch erfasst. Dazu braucht es Selbsterkenntnis - und die tut immer weh, weil damit die Erfahrung der eigenen Begrenztheit einhergeht. Wer diese Erfahrung in den Wind schlägt und sich stattdessen selber auf die Schulter klopft, manövriert sich in eine narzisstische Störung. Wenn diese Störung aber die Grundlage der gesellschaftlichen Entwicklung sein soll, wenn der neu formatierte Mensch sich dadurch auszeichnet, sich seine eigene Wirklichkeit zurechtzulegen und dadurch zur Borderline-Existenz zu verkommen, dann ist das das Ergebnis einer Besorgnis erregenden Borderline-Politik.
Und nirgendwo ein Autor in Sicht, der diese Politik in Grund und Boden schreibt. Karl August Bleibtreu, ein nur schwer zu übertreffender Ungustl der deutschen Literaturkritik, schrieb einmal den denkwürdigen Satz:
Beim Himmel! Wenn Jesus Christus mir schlechte Gedichte vorlegte, ich würde ihn erbarmungslos vermöbeln!
Das nenne ich Haltung. Es muss ja nicht gerade Jesus Christus sein, der die Welt mit einem schlechten Buch belästigt. Mir reicht eine heimische Borderline-Existenz.