"Die Musik versteht mich"
Töne als Brücken zur Erinnerung
Was Lieder und Musikstücke unüberhörbar zu Zeitzeugen macht, sind ihre Texte und Melodien, vor allem aber die Erinnerungen und Erlebnisse, die biografischen Wegmarken der Musikkonsumenten. Nostalgieumflorte Erinnerungsbilder kennt jede Generation.
8. April 2017, 21:58
Was Geräusche und Musikstücke zu Zeitzeugen macht, sind ihre Texte, Melodien und Assoziationen als biografisch-akustische Wegmarken. Oftmals fühlen wir uns von Musik persönlich angesprochen und in einer Weise verstanden, wie wir es sonst nur von Freunden oder geliebten Menschen kennen.
Musik wird zu einem symbolischen Ersatzobjekt, gleichsam einer Geliebten - sie öffnet Tore und weist Pfade in Verschüttetes und Vergangenes.
Kleine Fluchten aus dem Alltag
Es ist keine Erinnerung an das was war, sondern Erinnerung an sich selbst. Sie betrifft viele Ebenen. Oberfächliches und Tiefes. Lilli Binzegger schreibt im "Folio" der NZZ vom Dezember 2001: "Das Gedächtnis ist Zement, in dem ein grober Stiefel auf ewig seinen Abdruck hinterlassen hat. Das Gedächtnis ist ein See, auf den eine Schneeflocke fällt. Das Gedächtnis ist 9, von dem man nichts weiß, ob es sich aus 4 + 5 oder aus 3 x 3 zusammensetzt. Das Gedächtnis ist ein Schneefeld, über das Tiere gelaufen sind, deren Spuren sich vermischen und verwischen."
"Nur was nicht aufhört, weh zu tun, bleibt im Gedächtnis"
Jede Zeit hat ihr eigenes Bild, was das Gedächtnis ist, und wie es funktioniert. In der Welt der Griechen entsprang unter einer weißen Zypresse der Fluss des Vergessens.
Peter Düweke in einem Essay:
Der Fluss war das Erste, auf das die durstige Seele eines Verstorbenen stieß. Das brennende Verlangen der Seele, schmerzhafte Erlebnisse zu vergessen, aber doch auch die Erinnerung wach zu halten - reizte sie, zu trinken.
Und wenn sie aus dem Fluss des Vergessens getrunken hatte, waren alle Erinnerungen aus früheren Leben ausgelöscht.
Wurde die Seele wiedergeboren, konnte sie sich an nichts mehr erinnern.
Erleuchtete Menschen sollten sich daher vom Fluss des Vergessens fernhalten und stattdessen den See der Mnemosyne aufsuchen, der Göttin des Gedächtnisses.
Kunst des Erinnerns - Kunst des Vergessens
Eine Welt ohne Gedächtnis wäre eine Gesellschaft von Zombies, in denen Gefühl und Ich-Bewusstsein erloschen sind.
Erst unsere Erinnerungen verschaffen uns eine Lebensgeschichte, Identität und soziales Leben, es sind Erinnerungen, die uns zu Menschen machen. Deshalb sind Fragen nach dem Wesen des Gedächtnisses immer auch Fragen nach dem Wesen des Menschen.
Klang und Bedeutung
Musik zu verstehen ist eine Eigenschaft jedes Menschen, der Sprache besitzt und dadurch Klang immer in Zusammenhang mit Bedeutung erlebt.
Der Soundtrack mag er populär oder schräg klingen - öffnet das Tor in die Welt der Gefühle; schon Friedrich Schiller stellte den Musiker als "Seelenmaler" dem Dichter zur Seite und der Komponist Karlheinz Stockhausen konstatiert: "Musik versucht die Trennung zwischen Dasein und Jenseits, zwischen Jetzt und Früher aufzuheben.
Buch-Tipps
Harald Weinrich, "Lethe - Kunst und Kritik des Vergessens", C.H.Beck Verlag, ISBN 9783406448188
Franz Josef Wetz, "Die Magie der Musik", Klett-Cotta, ISBN 9783608932324