Der "Schindler Afrikas"
Ein gewöhnlicher Mensch
Hotelmanager Paul Ruseabagina, der "Schindler Afrikas", hat 1994 mehr als tausend seiner Landsleute das Leben gerettet, als der Bürgerkrieg zwischen Hutu-Milizen und der Minderheit der Tutsi in Ruanda ausbrach. Jetzt hat er ein Buch darüber geschrieben.
8. April 2017, 21:58
In die Annalen ging das, was 1994 im Herzen Afrikas passierte, als der schnellste Genozid der Geschichte ein. 800.000 Menschen in 100 Tagen umgebracht, in mühsamer Handarbeit, nur mit einem einfachen landwirtschaftlichen Gerät: der Machete. Die Stämme, um die es ging, trugen seltsame Namen - Hutu, Tutsi. Und die in den Abendnachrichten mit den Bildern dieses Völkermords versorgte Weltgemeinschaft wendete sich desinteressiert ab. Afrika soll sich selbst helfen!
Diese Forderung hat der inzwischen vielfach für seine Zivilcourage ausgezeichnete Hoteldirektor Paul Rusesabagina schon häufig gehört. Mag sein, dass er deshalb ein wenig ungehalten reagiert. "Was soll das Volk machen, wenn sich zwei Diktatoren streiten?", fragt er. "Afrika wird von Diktatoren regiert. Die Lage verbessert sich nicht, wenn der eine den anderen beseitigt."
Kolonialmacht Belgien
Das Ruanda in Rusesabaginas Kindheit war ein Paradiesgarten, dessen grüne Hügel, von Bächen spinnwebartig durchzogen, allen genug zu essen gab. Umso bestürzender dann die Schilderung der Historie.
Mit Einzug der Kolonialmacht Belgien wurden die Unterschiede zwischen den beiden Ethnien - auch mit Hilfe der Wissenschaft - festgeschrieben. Nasenmessungen und Charakterforschung ergab längere Riechorgane der Tutsis und ihre überlegene Geistesleistung. Die Tutsis wurden die Statthalter der Kolonisatoren, die Hutus deren Knechte.
Als die Belgier das Interesse an ihrer grünen Kolonie Ende der 50er Jahre verloren, gerieten die zahlenmäßig weit unterlegenen Tutsis unter Druck. Viele verließen das Land, denn die Belgier hatten den Hutus die Regierung überlassen und die bliesen zum Rachefeldzug. 1959 gab es die ersten systematischen ethnischen Morde.
90 Prozent der Bewohner getötet
Rusesabagina schreibt von den Gräueln des Massenmords per Krummmesser. Auch wenn in den dreieinhalb Monaten des Pogroms keiner der über 1.000 Flüchtlinge in Rusesabaginas Hotel einer Attacke der Hutu-Milizen zum Opfer fiel, vom Dach des Hotels aus konnten die unfreiwilligen Hotelgäste sehen, was in den Straßen der Umgebung passierte.
Nach dem Ende der Pogrome am 4. Juli 1994 hatte Ruandas Hauptstadt Kigali noch 30.000 Einwohner, ein Zehntel der ursprünglichen Bevölkerung. Der damals 40-jährige Paul Rusesabagina schützte die Tutsi und Hutu in seinem "Hotel des Mille Colines" vor Übergriffen der Militärs durch seine guten Kontakte zu den Drahtziehern des Genozids. "Ich lernte, dass es sehr schwer ist, jemanden zu schlagen, sobald man sich auf eine Unterhaltung mit ihm eingelassen hat", schreibt Rusesabagina über seine Treffen mit den Milizionären.
Das Hotel der Fluggesellschaft Sabena war, nach seiner Beschreibung, traditionell eine Art politisches und Geschäftszentrum des Landes. Einheimische Funktionäre trafen sich dort mit Waffenhändlern, Weltbankrepräsentanten, ausländischen Politikern, Vertretern von Hilfsorganisationen. Einige dieser Telefonnummern halfen dem Hoteldirektor, seine Gäste zu retten.
Flucht und Neuanfang
Im Sommer des Jahres eroberten die Tutsi Ruanda zurück. Und übten Vergeltung. Das Morden ging weiter, nur waren jetzt wieder die Hutus dran. Bis heute verschwinden Menschen spurlos, sagt Rusesabagina. Der Ex-Hoteldirektor, dessen Mutter Tutsi und dessen Vater Hutu ist, erzählt, wieso er sein Land verlassen musste:
"Wir blieben bis zu dem Tag, als ein Mann vom Geheimdienst der neuen FPR-Regierung in mein Haus kam, eine Waffe zog und auf mich richtete. Weil er vom Schrei einer Hausangestellten abgelenkt wurde, konnte ich ihn stoßen, so dass er zu Boden ging. Ab diesem Moment wusste ich, dass sie mich töten würden, wenn sich die Gelegenheit ergab und habe den nächsten Flug ins Exil genommen. Ich habe mein Leben bei Null begonnen."
Keine Hoffnung
Paul Rusesabagina, dem von George Bush im letzten Jahr die "Presidential Medal of Freedom" verliehen wurde, sieht Ruanda nicht auf dem Weg der Besserung. Auch die neue Tutsi-Regierung glaubt, dass es Verbrecher nur bei den anderen, den Hutus gab. 50.000 sitzen in den Gefängnissen des Landes. Kein einziger Tutsi muss sich verantworten.
Wenn die Situation sich nicht ändert in Ruanda, wenn es immer weiter Sieger und Besiegte gibt, wenn es also keinen Dialog, keine wirkliche Aussöhnung gibt, nur weitere Demütigungen wie das heute der Fall ist, wenn es weiterhin keine Aufarbeitung der Geschichte gibt, dann wird sich das, was vor zwölf Jahren in Ruanda passiert ist, dort wiederholen.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Paul Rusesabagina, "Ein gewöhnlicher Mensch. Die Geschichte hinter Hotel Ruanda", übersetzt von Tom Zoellner, Berlin Verlag, ISBN 3827006333