Don Carlos und die Latin Rocker der 1970er

Chicano Power

Vom Latin Rock der Chicanos, der in den USA lebenden Mexikaner, ist nur noch der alte Herr übrig, der unermüdlich seine Runden um die Welt zieht und heute mehr predigt als Musik macht: Carlos Santana. Sein Ruhm lässt die übrigen Latin Rocker der 1970er erblassen.

Carlos Santanas "Black Magic Woman"

Wer über Latin Rock der Chicanos - der in den USA lebenden Mexikaner - zu sprechen kommt, stößt unweigerlich auf einen Namen, der noch heute in aller Munde ist: auf Carlos Santana, dem "Guru des singenden Gitarren-Riffs".

Der Einfluss seines unverwechselbaren Gitarren-Sounds samt Perkussionsmaschinerie auf die anderen Latin-Rock-Interpreten der frühen 1970er Jahre ist unübersehbar. Wenn es Carlos Santana nicht geben würde, wüsste heute wahrscheinlich überhaupt niemand mehr, dass so etwas wie Latin Rock überhaupt je existiert hat. Er ist sozusagen der letzte Überlebende einer Szene, die damals ziemlich viel Dampf auf den Tanzböden vor allem der amerikanischen Westküste machte.

Sein Bruder Jorge

Latin Rock war - wie man heute so schön sagt - ein Hybridkonstrukt, das zu einigermaßen gleichen Teilen lateinamerikanische Rhythmus-Wirbeleien mit Funk, Jazz, Rock und Soul zusammenmischte und als gelebte Sound-Politik den Stolz und das erwachende politische Selbstbewusstsein der Immigrantenbevölkerung aus Mexiko und anderen Staaten südlich des Rio Grande repräsentierte.

Eine der heute längst vergessenen Bands aus dieser Zeit konnte immerhin stolz darauf verweisen, auch einen Santana in ihren Reihen zu haben, nämlich Bruder Jorge: "Er hatte ein bisschen etwas vom Sound von Carlos“, schreibt etwa der All Music Guide: "Sowohl in seinem Gitarrenspiel wie auch in der Stimme. Unglücklicherweise nicht genug, um seine Gruppe Malo länger als ein paar Jahre am Laufen zu halten".

Die Vorläufer der Latin-Rocker

Die Chicano-Klänge kamen natürlich nicht aus heiterem Himmel, sondern hatten ihre stilistischen Vorläufer: zum Beispiel die Pachuco-Musik aus den 1940er Jahren oder den Eastside-Sound aus L.A. - eine Art Beat-Musik con pachanga. Bei den kleineren Latin-Musikszenen an der Ostküste, die hauptsächlich von Puertoricanern getragen wurden, mischte man noch eine kräftige Dosis Salsa dazu.

Latin Rock reihte sich - so wie der Rest des amerikanischen Pop der späten 1960er Jahre - an der Peripherie der psychedelischen Bewegung ein: ein Bombardement der Sinne und eine Fiesta der Sinnlichkeit - die friedliche Hippie-Revolution von Haight Ashbury und die singenden, schwingenden Acid-Gitarren, von einem Gewitter aus Congas und Timbales rhythmisiert.

Der Begriff Chicano

Latin Rock um die Wende zu den 1970erJahren wird immer mit dem Begriff Chicano zusammengedacht. Die Musik war sozusagen der akustische Verstärker einer politischen Bewegung: Unter dem Chicano-Power-Movement verstand man eine Bürgerrechtsinitiative, die in den mittleren 1960erJahren von Mexican-Americans initiiert wurde und den politischen und gesellschaftlichen Status der Immigranten aus dem Süden kritisch befragte.

Eine der Latin Rockbands, die damals wie Pilze aus dem Boden schossen, trug ihr politisches Bewusstsein gleich im Namen: El Chicano. Auf der Hülle ihrer LP schrieben sie:

Unser Name ist einfach ein Synonym für den mexikanischen Amerikaner. Früher war der Begriff Chicano ein Schimpfwort, aber die neue Generation hat gelernt, sich mit dem Wort zu identifizieren - so wie die Afroamerikaner sich mit dem Begriff Black identifizieren.

Der Einfluss der Azteken

Als 1968 der Vietnamkrieg eskalierte, entstanden im Chicano-Milieu die so genannten Brown Berets, die mit paramilitärischen Mitteln in den Immigranten-Communities agitierten. Auch die Studenten wurden aktiv: Die United Mexican-American Students Organization überzog die Campusse an der Westküste mit Parolen und veranstaltete laufend Teach-Ins. Der symbolische Ort, an dem sich alle politisch Enttäuschten und sozial Deklassierten trafen, hieß Aztlan, die mythische Heimat der Azteken - ein Land, wo angeblich Milch und Honig flossen.

Mit der Suggestionskraft der mexikanischen Tradition spielte damals vor allem eine Band: Azteca, die von den ehemaligen Santana-Mitgliedern Coke Escovedo, Perkussion, und Neil Schon, Gitarre, gegründet wurde. Die Generalattacke von Azteca mit ihrer riesigen Bläser-Sektion war zwar eindrucksvoll, aber letztlich zu far out für die Rock-Kids, und so löste sich die Monstertruppe denn auch bald auf. Es blieb beim Fußnoten-Status.

Jenseits des Santana-Klischees

Chicano Rock war - mehr noch als der ekstatische Soul und die psychedelischen Klänge der Hippies - eine Musik der Rebellion gegen Orthodoxie und Tradition. Die rockifizierten Latin-Klänge, die über die eigene Community hinaus zielten, wussten aber nie so recht, wohin sie eigentlich wollten. Ein Großteil der Bands folgte dem leuchtenden Pfad, den ihnen Carlos Santana in Woodstock gezeigt hatte und modulierten bestenfalls die Ingredienzien. Andere waren kaum mehr als Salsa-Bands mit ein wenig verzerrter E-Gitarre oder traditionelle Latin-Orchester, die den Vierviertel-Takt ein wenig stärker akzentuierten als üblich.

Eine der eigenständigsten Gruppen jenseits des Santana-Klischees war Mother Night, aus New York - eine Band, die clever die elegischen Intros und harschen Breaks des Progressiven Rock mit heißen Saxofon-Soli und den Walking-Bässen des Jazz mischte.

Demo als Durchbruch

Stichtag für den Durchbruch des Latin Rock war eine Antikriegs-Demonstration im Belvedere Park von East L. A. am 29. August 1970. Die Polizei griff damals hart durch, und die Veranstaltung endete im Chaos: Hunderte Menschen wurden verhaftet, und es entstand ein Schaden von mehr als einer Million Dollar.

Die eskalierte Demo wurde zum Top-Thema in den TV-Nachrichten und machte die Chicano-Kultur auch für ein breiteres Publikum bekannt. Als nun auch die Plattenfirmen groß einstiegen, ergoss sich eine ganze Flutwelle von Latin-Gruppen über den nordamerikanischen Kontinent: Changó, The Antiques, Tierra, der Rock'n'roll-Star Ritchie Valens oder die Harvey Averne Barrio Band, um nur einige zu nennen. Für die meisten war aber nach ein, zwei LP Schluss, denn der Latin-Trend war zwar heiß, aber kurz.

Nur einer überlebte

Als Mitte der 1970er Jahre einige grundsätzliche politische Rechte für die Chicanos erkämpft waren, ging den Aktivisten der Atem aus. Und mit der heroischen Phase des Widerstands verschwand auch die dazugehörige Musik.

Übrig blieb Gitarrenheld Carlos Santana, der sich längst von seinem Milieu emanzipiert hatte. Er überlebte, weil er sich den neuen Tagesmoden wie Funk-Revival und Disco-Sound anschmiegte und auch Torheiten wie die Instant-Spiritualität aus der Mahavishnu-Ecke bereitwillig mitmachte. Karrieretiefs übertauchte er mit Endlos-Tourneen durch die Provinz, und um die Jahrtausendwende kämpfte er sich unerwartet wieder in die erste Reihe der Pop-Veteranen. Aber das ist eine andere Geschichte, die schon oft genug erzählt wurde.

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Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 21 Mai 2006, 17:10 Uhr

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Carlos Santana