Peter Stephan Jungk

LILLIAN BIRNBAUM

Menschenbilder

Peter Stephan Jungk

Orte und Menschen - Zu Besuch beim Schriftsteller Peter Stephan Jungk in Paris.

Hamza, der die besten Mangos der Welt verkauft. Fatih aus Algerien, der immer auf Deutsch grüßt. Michel, der einzige Franzose - er kommt aus der Normandie -, bringt die Produkte seines Hofs, Eier, Gemüse, Erdbeeren. Peter Stephan Jungk kennt sie alle, begrüßt sie, stellt ihnen den Gast aus Österreich vor. Und erzählt von ihnen, die es aus allen Ecken der Welt hierher verschlagen hat: auf den Markt im Quartier d’Aligre im 12. Arrondissement, zwischen der Rue du Faubourg Saint-Antoine und der Gare de Lyon.

Die Halle, der Markt davor, der anschließende Flohmarkt, sie wirken wie Vereinte Nationen en miniature: friedlich, auch wenn die Geschichten der Menschen es nicht immer sind. Wie die von Lily, der Chinesin, die als Hausangestellte von einer französischen Familie ausgenützt wurde, bevor sie sich nach Jahren befreien konnte.

Debüt "Stechpalmenwald"

Man könnte ein ganzes Buch über diesen Markt und seine Persönlichkeiten schreiben - und genau das hat Peter Stephan Jungk getan: "Marktgeflüster". Eine verborgene Heimat in Paris. Er erzählt darin von anderen und gleichzeitig auch über sich. Doch, es sei sicher richtig, dass viele seiner Protagonist:innen eine ähnliche Suche nach dem Ort mit sich herumtrügen wie er selbst, sagt er am Nachmittag, zu Hause in der obersten Etage eines dieser Pariser Wohnhäuser: hohe, schmale Fenster bis fast zum Boden, wodurch die Zimmer Balkone zu haben scheinen. Ein schmales Stiegenhaus mit hölzerner Treppe, teppichverkleidet. Man scheint in einer privaten Welt angekommen, sobald der Türcode den Einlass freigegeben hat.

Den Vormittag haben wir flanierend im Viertel verbracht. Jetzt nehmen wir die Arbeit auf: das Gespräch über ein Leben mit ebenso vielen Stationen wie Büchern, beginnend mit "Stechpalmenwald" - so Jungks wörtliche Übersetzung von Hollywood, es war sein literarisches Debüt mit 25 Jahren. Zwölf Geschichten über "Endlos Angeles", seine Geburtsstadt. Nach dem Aufwachsen in Wien, Berlin und Salzburg ist er in jungen Jahren zum Studium am American Film Institute wieder hingezogen. Wie wäre sein Leben verlaufen - als Filmregisseur? Gar nicht, er wäre tot. Den Anstrengungen einer Karriere in Hollywood wäre sein Herz nicht gewachsen gewesen, kommentiert Jungk lakonisch.

"Tracking Peter" zum 70er

Und doch hat sich der Film in seine Bücher eingeschrieben, ob Biografien, ob Belletristik. Ja, das hätten viele festgestellt, sagt Jungk; er glaube auch, dass das Visuelle, das Filmische in seiner Literatur eine große Rolle spiele. Auch als Versuch, Dinge sichtbar zu machen. Die Nähe zum Film konstatieren auch Beiträge einer Festschrift, die zu seinem 70. Geburtstag erschienen ist, bezeichnender Titel: "Tracking Peter". 50 Autorinnen und Autoren haben dazu beigetragen, unter ihnen Georg Stefan Troller, Paul Nizon, Sabine Gruber, Julya Rabinowich, Karl-Markus Gauß, Marica Bodrožić. Und Peter Handke, in Form eines Gesprächs. Die Begegnung mit dem zehn Jahre Älteren - der ebenfalls seit Langem in Paris lebt - sei unendlich wichtig gewesen, mitentscheidend für den Entschluss, Schriftsteller zu werden.

Jedes seiner Bücher führt an einen anderen Ort: "Rundgang" erzählt von seinen zwei Jahren in Jerusalem und dem Versuch, ein Leben als orthodoxer Jude zu führen, "Die Erbschaft" über eine ebenfalls jüdische Familiengeschichte, die nach Lateinamerika führt. "Der König von Amerika", eine fiktionalisierte Biografie Walt Disneys, "Die Reise über den Hudson" vom engen, geradezu intimen Verhältnis eines jungen Mannes zu seinen Eltern und seinen Befreiungsversuchen - man kann darin Vater Robert Jungk erkennen, den zu seiner Zeit weltbekannten Zukunftsforscher und Friedensaktivisten, und dessen Frau Ruth, geborene Suschitzky.

Die Welt spüren

Wie auch Jungks Biografie von Franz Werfel in viele Länder und Themen führt. Er spricht dafür mit vierzig Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, arbeitet fünf Jahre an der Lebensgeschichte des berühmten Autors - währenddessen ist wieder Wien sein Standort. Danach, 1988, zieht er mit seiner Frau, der Fotografin und Filmproduzentin Lillian Birnbaum, nach Paris. Und wird, unter anderem mit ihr, auch dort wieder zum Filmemacher. "Ich wollte in eine Stadt kommen, wo ich mehr Welt spüre", sagt er - das sei zu einer Zeit gewesen, als Wien noch nicht jenes von heute war. Aber einen Markt wie den in seinem Viertel, den gibt es in Österreich nicht.

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