Wie Gene unser Denken prägen
Der Ursprung des Geistes
Es liegt in den Genen, wenn ein Baby mit blauen, grünen oder braunen Augen geboren wird. Gene bestimmen den Körperbau und Anfälligkeiten für Krankheiten. Was für den Körper recht ist, meint Gary Marcus, muss für das Gehirn doch billig sein.
8. April 2017, 21:58
Gene bestimmen bekanntlich unseren Körper. In einem Bereich jedoch, so Gary Marcus, neigen viele dazu, die Bedeutung der Gene zu ignorieren: beim menschlichen Gehirn. In seinem Buch legt der Psychologieprofessor an der New York University dar, warum auch dieses Organ, das als Sitz des Geistes gilt, den gleichen biologischen Prinzipien unterliegt:
"Viele Gene, die den Körper bauen, konstruieren auch das Hirn", so Gary Marcus. "Die meisten Bautechniken sind die gleichen. Was einen Embryo baut, baut auch das Hirn des Embryos. Es gibt zwar das Hirn betreffend ein paar genetische Innovationen, doch im Prinzip werden Gene, wie sonst auch, sozusagen auf- und abgedreht."
Basis Kohlenstoff
Das Unbehagen bei dem Gedanken des Gehirns als biologisches Produkt wie etwa die Leber oder der Magen hängt mit tradierten Vorstellungen von der Besonderheit des Menschen zusammen. Schon Charles Darwin etablierte das enge Verwandtschaftsverhältnis von Mensch und Affe. Doch vielen ist nach wie vor nicht recht wohl bei dem Gedanken, dass wir - genauso wie die Schimpansen, die Gorillas und die Orang Utans - zu den Primaten gehören.
"Wir glauben an Dinge wie eine Seele oder einen Geist. Wir meinen auch, dass wir uns von allen anderen Lebewesen unterscheiden", meint Gary Marcus. "Ein Exobiologe, sagen wir ein Außerirdischer von Alpha Centauri, der das Leben auf der Erde erforscht, würde bemerken, dass die Basis aller Organismen auf diesem Planeten Kohlenstoff sei; alle kopieren Erbgut mithilfe von DNA. Alle Arten sind einander also sehr ähnlich; und andere Arten, etwa vom Planeten Beetlejuice, beruhen wiederum auf anderen Prinzipien."
Je komplizierter desto instabiler
Der Geist gilt als das Zentrum des freien Willens. Der Gedanke, dass alles, was im Kopf vorgeht, durch Gene bestimmt ist, klingt verdächtig nach biologischem Determinismus; dass alles, was der Mensch ist bzw. wird, eine Sache der Veranlagung und nicht der Umwelt ist. Dieses Argument beruhe auf einem falschen Verständnis der Biologie, erklärt Gary Marcus mit folgendem Beispiel:
"Microsoft Word ist derzeit sicher das am häufigsten verwendete Computerprogramm. Es besteht aus individuellen Befehlen, und diese sind an sich verlässlich und logisch. Aber: Wenn man alle Befehle zusammennimmt, dann ist es mit der Verlässlichkeit vorbei. Microsoft Word bricht dauernd zusammen, und ich fluche darüber täglich. Ein Programm, das aus 100.000 Befehlen besteht, ist eben kompliziert. Das ist so ähnlich wie mit der Komplexität beim Menschen, wo so viele Gene und Hirnzellen und Umwelteinflüsse zusammenwirken."
Genom als Kochrezept
Einer der Gründe, warum die Rolle von Genen gerade auf unsere Hirnzellen schwer begreifbar ist, liegt in einem - dem Anschein nach - numerischen Missverhältnis. Das Genom des Menschen enthält 30.000 Gene. Doch das Gehirn besteht aus rund 20 Milliarden Neuronen. Gary Marcus erklärt, warum er von der Theorie der Genknappheit nichts hält. Sie beruhe auf der irrigen Vorstellung, dass ein Gen nur wenige Aufgabe erfülle.
"Eine Metapher, die mir gefällt, ist die vom Genom als Kochrezept. Mit einem Rezept, das 12 Zeilen lang ist, kann ich einen Kuchen von bestimmter Größe backen. Aber ich kann die Zutaten auch verdoppeln und einen zwei Mal so großen Kuchen backen. Bei den Hirnstrukturen liegt die Sache ähnlich. Wenn es die Gene dafür gibt, können diese den Vorgang wiederholen. Mehr Signalwege zu bauen, ist demnach eine billige Sache. Wie bei einem größeren Kuchen, braucht man nur mehr Zutaten."
Das Sprach-Gen FOXP2
Wegen der vielen verschiedenen Funktionen, die Gene einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen erfüllen, ist es auch so schwierig, komplexe Fähigkeiten genetisch zu analysieren. Dazu gehört etwa die Sprache. Bisher identifizierten Forscher erst ein einziges Gen namens FOXP2, das mit Sprache zusammenhängt. Es wäre jedoch falsch, FOXP2 als "Sprachgen" zu bezeichnen. Auch Tiere, die bekanntlich nicht sprechen, haben dieses Gen. Die ganze Bandbreite der Funktionen von FOXP2 muss erst erforscht werden.
Das Problem mit dem Bewusstsein
In noch viel weiterer Zukunft als die genetischen Grundlagen zur Sprache, meint Gary Marcus, liege das biologische Verständnis von dem, was wir Geist oder Bewusstsein nennen.
"Das Problem mit dem Bewusstsein ist: Wir wissen nicht einmal, wonach wir suchen. Irgendjemand muss zuerst die Fragestellung formulieren. Ich weiß nicht, ob das auch passieren wird. Aber vermutlich schon. Wissenschaft wird immer kompetitiver, und es gibt immer mehr Forscher. Vor 300 Jahren haben sich nur wenige mit solchen Dingen befasst. Ich bin also optimistisch. Aber derzeit, wissen wir nicht einmal, was die eigentlich Frage ist."
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Gary Marcus, "Der Ursprung des Geistes. Wie Gene unser Denken prägen", aus dem Englischen übersetzt von Christoph Trunk, Walter Verlag, ISBN 3530421936