Die unzähmbaren Löwen
Elfenbeinküste
Am 9. Juni beginnt die Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Einen Monat lang wird "König Fußball" das dominierende Thema in den Medien und der Gesellschaft sein. Bis dahin stellt Ihnen oe1.ORF.at die 32 teilnehmenden Nationen vor
8. April 2017, 21:58
Als sich der Kameruner Pierre Wome vor dem ägyptischen Tor den Ball zum Elfmeter zurechtlegte, hielt Abidjan die Luft an. Denn hätte Kamerun die Partie gegen Ägypten gewonnen, wäre die Elfenbeinküste draußen gewesen. Doch Wome traf nur den Pfosten - und das Land atmete auf.
Natürlich auch wegen der gelungenen Qualifikation, der ersten überhaupt, für eine Weltmeisterschaft. Gleichzeitig aber versprach der sportliche Erfolg, das politische Drama, das dieses Land seit drei Jahren erlebt, für ein paar Tage vergessen zu machen.
Die Elfenbeinküste, die Côte dIvoire, war einst die "Schweiz Afrikas", und die Wirtschaftsmetropole Abidjan nannte sich stolz und überheblich das "schwarze Paris". Doch vom Glanz der alten Tage ist nur wenig geblieben. Seit drei Jahren ist das Land, dem französische Konzerne die nach Südafrika erfolgreichste Industrialisierung Schwarzafrikas bescherten, im Bürgerkrieg: der überwiegend muslimische Norden gegen den christlichen Süden.
Es geht bei dieser Auseinandersetzung weniger um Religion, als um Respekt für die "Nordisten", um politische Teilhabe und die Kontrolle über die weltweit größte Kakaoproduktion. Dadurch aber wird der Konflikt, von dem vor einigen Jahren noch jeder behauptet hätte, er sei unmöglich, nicht verständlicher.
Denn die Elfenbeinküste ist das Land mit dem höchsten Ausländeranteil der Welt und gilt als Schmelztiegel schlechthin. Die Zahlen schwanken zwischen fünfundzwanzig und fünfunddreißig Prozent bei einer Gesamtbevölkerung von rund sechzehn Millionen. Die Ausländer, die aus den nördlichen Nachbarländern stammen, haben erheblichen Anteil am wirtschaftlichen Erfolg der Côte dIvoire, doch mit dem Verfall der Kakaopreise Ende der siebziger Jahre und einer galoppierenden Arbeitslosigkeit kippte die Stimmung. Gleichwohl ist das Land mit seinen sechzig Ethnien entgegen landläufiger Meinung nach wie vor von Gastfreundschaft und Offenheit geprägt.
Die von französischer Lebenskultur geprägte Wirtschaftsmetropole Abidjan mit ihren Stadtautobahnen und ihren Wolkenkratzern war stets der Inbegriff afrikanischer Urbanität. Abidjan, das war die "swinging city" des Kontinents. Nirgendwo sonst gibt es mehr Bars, Restaurants, Diskotheken, und Nachtclubs. Die Musikszene setzt seit Jahren mit traumwandlerischer Sicherheit die Trends für den ganzen Kontinent - wie zuletzt mit dem Tanzrhythmus "Coupé décalé", der von Dakar bis hinunter nach Luanda kopiert wird.
Aber die Selbsteinschätzung der Ivorer als die "Franzosen Afrikas" hat einige Macken bekommen, seit die französische Armee im November 2004 mit Gewalt gegen Demonstranten vorging. Trotzdem: Wenn ein Ivorer im Ausland war, dann nur selten in Ghana, Togo oder Mali. Frankreich muss es sein.
Dieser Text entstammt einer Kooperation mit "Anstoss", der Zeitschrift des Kunst- und Kulturprogramms zur FIFA WM 2006; ein Projekt von André Heller.
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