Martinique und Guadeloupe

Creolité

Am Anfang war die Négritude. Sie entstand in Paris, wo Aimé Césaire, ihr Begründer, studierte. Dann erfand Edouard Glissant die Antillanité, und schließlich wurde, wieder von zwei Poeten aus Martinique, die Creolité begründet. Protest oder Prinzip?

Um klarzustellen: überall auf der Welt gibt es kreolische Sprachen. Sie sind Produkte des Kolonialismus und entstanden als Mixtur der offiziellen Herrschaftssprache mit der Sprache der Unterdrückten. Je nach Weltgegend basiert das "Kreolische", die neue Mischsprache, auf Englisch oder Französisch, Spanisch, Arabisch, Malayisch usw. Allen gemeinsam ist die Verachtung, die ihnen von Seiten der Gebildeten entgegen schlug. Kreolisch galt als Sprache der Gosse.

Und dann kamen die Schriftsteller, die nicht mehr bereit waren, dieses Verdikt zu akzeptieren und das Kreolische als eigenständige Sprache benutzten. Aber bis dahin galt es einen langen Weg zurückzulegen.

Recht auf kulturelle Selbstbestimmung

Es begann mit der Négritude in den 1930er Jahren in Paris. Der aus Martinique stammende Aimé Césaire und seine Freunde, unter ihnen auch Leopold S. Senghor, machten das Recht der Kolonisierten auf kulturelle Selbstbestimmung geltend: Sie wollten keine dunkelhäutigen Franzosen sein, sondern sie selbst. Sie schrieben über ihr Leben als Schwarze, über das Leben in Afrika und in der Karibik. Mit der 1948 von Senghor herausgegebenen "Anthologie neuer Negerdichtung in französischer Sprache", zu der Jean-Paul Sartre das Aufsehen erregende Vorwort "Schwarzer Orpheus" schrieb, räumten sie mit dem Vorurteil der Kulturlosigkeit der Schwarzen auf.

Um eine völlig neue, von Europa losgelöste Sicht auf die Kultur der Karibik kämpfte Édouard Glissant, er nannte sein Konzept Antillanité und wurde zum Wegbereiter der Créolité, jener literarischen Bewegung, die das (französisch-)kreolische Leben aus (französisch-)kreolischer Sicht in (französisch-)kreolischer Sprache schildert und deren Hauptvertreter Patrick Chamoiseau, Jean Bernabé und Raphaël Chamoiseau sind. Beide Bewegungen entstanden auf Martinique.

Insel der schreibenden Frauen

Und Guadeloupe? Guadeloupe scheint die Insel der "schreibenden Frauen" zu sein. Die jüngste, Gisèle Pineau, wurde 1956 in Paris als Tochter einer kinderreichen Einwandererfamilie geboren. Als sie 14 ist, beschließen ihre Eltern, wieder nach Guadeloupe zurück zu kehren. Endlich hat sie Gelegenheit, allen Geschichten und Legenden nachzugehen, die die Kreolisch sprechende Großmutter in Paris erzählt hat. Diese Erfahrungen, die Entdeckung ihrer eigenen, persönlichen Geschichte und den Weg einer kleinen Pariserin zwischen Vernunft und Magie, ist Thema ihres 1994 erschienenen Romans "Die lange Irrfahrt der Geister".

Die älteste, Maryse Condé, 1937 in Pointe-a-Pitre geboren, verwirklicht ihre eigene Négritude, indem sie einen Afrikaner heiratet und mit ihm nach Guinea zieht. "Es dauerte ungefähr drei Monate", erzählt sie in einem Interview, "bis ich bemerkte, dass ich überhaupt nicht hierher gehörte. Nichts war so, wie ich es mir in meinen Afrikafantasien zusammengereimt hatte. Wir hatten wohl gemeinsame Ahnen, aber die einen wurden in die Neue Welt verschleppt, und die andern blieben in Afrika. Und da entdeckte ich, dass die Hautfarbe alleine keine Gemeinsamkeit bringt."

Sehnsucht nach Afrika

Maryse Condé hat mit ihren Romanen ein zentrales Thema karibischer Befindlichkeit getroffen: die große Sehnsucht nach der alten Heimat Afrika. Sie hat mit ihren sehr populären Familiensagas die Aufarbeitung der Verschleppung aus Afrika in Gang gebracht, ein Thema, mit dem sich auch die gleichaltrige Simone Schwartz-Bart auseinander setzt. Ihr farbenfroher 1979 in Frankreich veröffentlichter Roman "Ti Jean oder Die Heimkehr nach Afrika" kommt zu denselben Ergebnissen, die Maryse Condé am eigenen Leib erlebt hat: Das heutige Afrika ist ein anderes Afrika als das, aus dem die Sklaven verschleppt worden sind.

Sieben Jahre vorher erschien, ebenfalls in Frankreich, ihre Hommage an das Leben der Frauen Guadeloupes, "Télumée", in der sie die Geschichte von drei Frauengenerationen erzählt. Und das Leben der karibischen Schwarzen so authentisch wie möglich wiedergibt. Genau wie auch Dany Bébel-Gisler in ihrem Roman "Léonora. Die vergrabene Geschichte Guadeloupes". Beide Autorinnen traten aktiv für die Loslösung der karibischen Gebiete Frankreichs und die Anerkennung des Kreolischen als eigener Sprache ein. Aber Dany Bébel-Gisler geht noch einen Schritt weiter als alle anderen: Sie leitet heute eine private Grundschule in Lamentin, Basse-Terre, an der Kreolisch die Hauptsprache und Französisch Hauptfach ist - Vorbild für weitere und weitergehende Projekte in der Karibik.

Service

Simone Schwartz-Bart, "Télumée", aus dem Französischen übersetzt von Udo Schlögl, Peter Hammer Verlag, ISBN 3872943324

Simone Schwartz-Bart, "Ti Jean oder Die Heimkehr nach Afrika", aus dem karibischen Französisch übersetzt von Ullrich Wittmann, Peter Hammer Verlag, ISBN 387294195

Gisèle Pineau, "Die lange Irrfahrt der Geister", aus dem karibischen Französisch übersetzt von Gunhild Niggestich, Peter Hammer Verlag, ISBN 3872946412

Dany Bébel-Gisler, "Leonora. Die vergrabene Geschichte Guadeloupes" (Ausschnitt), in: "La linea colorada. Literarische Facetten Lateinamerikas", herausgegeben von Haus der Kulturen der Welt, ISBN 392344656X

Maryse Condé, "Segu", aus dem Französischen von Uli Wittmann, Kiepenheuer & Wietsch Verlag, ISBN 601018910

Maryse Condé, "Das verfluchte Leben", aus dem karibischen Französisch übersetzt von Volker Rauch, Peter Hammer Verlag, ISBN 3872947060

UNESCO Courier - Interview mit Maryse Condé