Kolumne von Konrad Becker

Geisterstunde des Infozeitalters

Schon bald nachdem Samuel Morse im Jahre 1844 den Telegrafen erfand, wurde die Welt von einer Welle des Spiritualismus überschwemmt. Es entstand eine volkstümliche Bewegung, wissenschaftliche Theorien des Übersinnlichen zu konstruieren.

Der Glaube an Technologie als Brücke zwischen den Toten und den Lebenden. Auch die technische Entwicklung von Tonübertragung und Aufnahme wurde zu einem geheimnisvollen Abenteuer.

Thomas Edison war völlig besessen Radios für die Kommunikation mit dem Jenseits zu erfinden. In den 1920er Jahren, als er versucht einen Geister-Empfänger zu bauen, schreibt er: "Wenn wir ein Instrument entwickeln, dass so fein ist, dass es von unserer Persönlichkeit in einem Leben danach, beeinflusst wird, so ein Gerät müsste etwas aufzeichnen."

Seither hat sich ein breites Genre von "Electronic Voice Phenomenon", "Instrumental Transkommunikation" und Tonbandstimmenforschung gebildet. Als in den 60er Jahren "Radiokontakt mit den Toten" erneut zu großer Popularität gelangte, wurden ganze Bibliotheken mit diesen Übertragungen aus dem Reich der Toten gefüllt. Für die Vertreter dieser auditiven elektronischen Untersuchungen ist Weißes Rauschen erfüllt von den Stimmen der Verstorbenen: Geisterstimmen in den atmosphärischen Störungen der Magnetbandaufzeichnungen.

Umgekehrt, nützen staatliche Obrigkeiten und private Interessensträger digitale Technologien mittlerweile für umfassende Überwachung und invasives Abhören, um die Stimmen der Lebenden verstummen zu lassen. Das Wissen, dass beispiellose Datenmengen aufgezeichnet und ausgewertet werden, verändert unser Verhalten. Wer das Recht verliert sich anonym zu bewegen, verliert das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

Ob Digitales Panoptikon oder elektronische Surveillance Assemblage, dort wo es bedrohlich ist, durch abweichende Verhaltensmuster Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, wird Gleichförmigkeit zum Gesetz und Sprachlosigkeit zur Norm. In der virtuellen, aber zunehmend allumfassenden, strukturellen Disziplinierung, wird jede abweichende Lebensäußerung zur Gefahr. Verfolgt vom Spuk der Phantomdaten, in einer Geisterbahn der Informationstechnologie, bringt nur das vorzeitige Ableben, das verlöschen der Datenspuren, Erleichterung von den Datenkörper Widergängern.

Auch die Versuche virtueller Informationskartelle, durch Veränderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen und durch die Durchsetzung technischer Standards (DRM, Digital Restrictions Management), die Möglichkeit der Kopie und Vervielfältigung einzuschränken, sind nichts weniger als der Versuch die Mannigfaltigkeit der kulturellen Produktion einzugrenzen, die Stimmen der Vielfalt zum Schweigen zu bringen und das Gespenst der freien Kommunikation im weltweiten Netzwerk auszutreiben.

Im Informationsfeudalismus, den Regimes globaler Intellectual Property Rights (IPRs), ist eine kleine Anzahl großer Konzerne damit beschäftigt, riesige Teile unserer Kultur in den Grüften ihrer IP Portfolios lebendig einzumauern. In der noch vor Jahren hoffnungsvoll erwarteten Informationsgesellschaft greift, unter dem Druck allumfassender Kontrolle, und einer zunehmenden Ökonomisierung des Lebens, immer mehr Stille um sich. Aber "Gestorben ist nicht was ewig ruht, in unbekannten Zeiten könnte der Tod noch sterben!"

Der Autor, Künstler und Organisator Konrad Becker leitet das Institut für neue Kulturtechnologien/t0. Zahlreiche Veröffentlichungen und Veranstaltungen im Bereich Kunst, Wissenschaft und elektronische Medien.

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