Über Zwangsehen und deren Folgen

Familienehre

Zuletzt hat der Prozess gegen drei türkische Brüder in Berlin so genannte Ehrenmorde in den Blickpunkt der Öffentlichkeit gerückt: Ihre Schwester musste sterben, weil sie entgegen der Familientradition ihren eigenen Weg gehen wollte.

Mina Ahady von der Plattform "Hatun" zum Tatmotiv

Im April dieses Jahres wurde in Berlin der jüngste Bruder von Hatun Sürücü des Mordes an seiner Schwester für schuldig befunden und zu einer Haftstrafe verurteilt. Tatmotiv war die Familienehre: Hatun Sürücü musste sterben, weil sie sich aus einer Zwangsehe befreit hatte und ein selbst bestimmtes Leben führen wollte.

Hohe Dunkelziffer

5.000 Mädchen und Frauen werden nach Angaben der UNO weltweit jährlich im Namen der so genannten Ehre ermordet. ExpertInnen gehen jedoch davon aus, dass die Dunkelziffer sehr viel höher ist, denn die wenigsten Fälle kommen vor Gericht:

"Häufig wird der Mord als Unfall oder Selbstmord getarnt; die gesellschaftliche Akzeptanz dieser Verbrechen ist so hoch, dass sich Verwandte, Freunde und Nachbarn nur selten einmischen und sogar die Polizei häufig wegschaut", heißt es in einer Studie der in Tübingen ansässigen Organisation für die Menschenrechte der Frau, "Terre de Femmes".

Kein religiöses Problem

Obwohl die meisten Fälle von Ehrenmorden in islamisch geprägten Kulturen oder Gemeinden vorkommen, handelt es sich dabei um kein religiöses Problem. Verbrechen im Namen der Ehre finden nach Angaben der UNO auch in Brasilien, Ecuador, Indien und Italien sowie in Migrantengemeinden in Europa statt. Auch Hatun Sürücü war in Deutschland aufgewachsen. Ermordet wurde sie an einer Bushaltestelle in Berlin.

Patriarchale Ursprünge

Heinz Patzelt, Generalsekretär der Österreich-Sektion der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, betont, dass Ehrenmorde nicht aus dem Islam, sondern aus patriarchalen Strukturen resultieren, in denen die Frau als Eigentum von Männern betrachtet wird. Ehrenmorde sind dabei nur die Spitze des Eisbergs. Solchen Verbrechen gehen vielfach Zwangsehen und massive Gewalt gegen die Frauen voraus.

Für Amnesty International steht jedenfalls fest: Jeder Mensch hat das Recht auf Religion und auf Kultur, aber es gibt ganz klare Grenzen, und das sind die Menschenrechte.

Kulturrelativismus made in Europe

Die Themen Ehrenmorde und Zwangsehen stehen in enger Verbindung mit Fragen des Kulturrelativismus und der mangelnden Integration von MigrantInnen, die zumal in Deutschland in jüngster Zeit heftig diskutiert werden.

Innerhalb der Migrantengemeinden haben daher einige Frauen wie Seyran Ates, Fatima Bläser oder Serap Cileli, die sich selbst unter schwierigsten Umständen ihr Recht auf ein selbst bestimmtes Leben erkämpfen mussten, ihre Stimme gegen den in Westeuropa praktizierten Kulturrelativismus erhoben.

Europäische Initiativen unzureichend

Die Studie von "Terre de Femmes" erklärt dazu, dass lange Zeit der "Multikulturalismus-Gedanke“ sehr hoch geschätzt worden sei. "Allerdings hat man dabei übersehen, dass unter dem Deckmantel von Toleranz anderen Kulturen gegenüber Menschenrechtsverletzungen an Frauen und Mädchen begangen wurden", wird argumentiert.

In einer Reihe von europäischen Staaten, darunter auch in Österreich, gibt es inzwischen Initiativen gegen Zwangsehen und Verbrechen im Namen der Ehre. Kein Land aber verfügt bislang über genügend Beratungsangebote, Zufluchtstätten und andere Hilfs- und Schutzeinrichtungen.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 3. Mai 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Link
Terre des Femmes - Menschenrechte für die Frau