Klaus Wagenbach - ein Porträt
Der Meinungsverleger für wilde Leser
Als Verleger der Studentenbewegung, Botschafter der italienischen Literatur und Kafka-Experte ist Klaus Wagenbach eine schillernde Figur der deutschen Verlagsbranche. Die Wiener Hauptbücherei widmet ihm derzeit die Ausstellung "Nach Italien!".
8. April 2017, 21:58
"Anarchie, Hedonismus, Geschichtsbewusstsein", so lautet die programmatische Formel, mit welcher Klaus Wagenbach die allzu ordnungsliebende und lustfeindliche deutsche Bundesrepublik der 1960er Jahre in arge Bedrängnis brachte.
Die damaligen Skandale und Gesinnungskämpfe sind heute längst Geschichte. Doch auch mit 75 Jahren hält sich der meistverurteilte linke Verleger an seine Prinzipien. Und erfreut sich als hoch dekorierter Kernvertreter der Toskana-Fraktion großer Anerkennung und eines genussvollen Lebens.
Gründerischer Wagemut
Der Verkauf einer Wiese im hessischen Hochtaunus brachte Klaus Wagenbach 1964, nach seiner politisch motivierten Entlassung aus dem S. Fischer Lektorat, das Startkapital für die Gründung seines eigenen Verlags. Mit Hilfe von Ingeborg Bachmann und Günter Grass gelang es ihm, die ersten großformatigen Quarthefte zur zeitgenössischen Literatur zu lancieren.
Brandgefährliche Texte
In der Folge erwarb sich Wagenbach, indem er Autoren wie Wolf Biermann, Rudi Dutschke und Ulrike Meinhof publizierte, den Ruf des Verlegers der Studentenbewegung. Das "Manifest der RAF" und die "Rotbücher -Texte der neuen Linken" wurden von ihm veröffentlicht. Zahlreiche Gerichtsverfahren, die den Verlag beinahe in den Ruin führten, wurden von Wagenbach und seinem damaligen Anwalt Otto Schily "ehrenvoll verloren". Glücklicherweise verfügte er über einige literarische Zugpferde, welche die Konsolidierung des Verlages in dieser schwierigen Zeit ermöglichten - Erich Fried etwa, dessen "Liebesgedichte" sich über eine Viertelmillion Mal verkauften.
Blick nach Süden
Klaus Wagenbach sah in Italien, das er als Jugendlicher mit dem Fahrrad erstmals bereist hatte, den wunderbar anziehenden Gegenpol zu Deutschland. Viele italienische Schriftsteller, die er für den deutschsprachigen Raum entdeckte, sind heute aus dem Kanon der Weltliteratur nicht wegzudenken: Mit Luigi Malerba und Pier Paolo Pasolini trat Wagenbach einen Boom deutscher Übersetzungen italienischer Literatur los.
Auf leisen Sohlen
Große Gewinne zu erzielen war niemals Wagenbachs Ziel. Als Leiter eines Meinungsverlags stört es ihn nicht, dass zwei Drittel seiner Bücher sich nicht rentieren, denn "das Neue kommt", wie er sagt, "auf leisen Sohlen". Auf diese Weise kam Michel Houellebecq, dessen erste Übersetzung ins Deutsche, "Ausweitung der Kampfzone", er verlegt hat, zu Klaus Wagenbach.
Und so gelangte, 1950, auch Franz Kafkas "Der Prozess", das bis dahin nur in Amerika verlegt worden war, in seine Hände - ein Buch, das ihn nie wieder ganz loslassen sollte. Wagenbach wurde zum ersten Kafka-Biografen im deutschsprachigen Raum und gilt nach wie vor als einer seiner profundesten Kenner.
Gelebte Demokratie
Der linken Ideologie huldigt Klaus Wagenbach nicht nur, wenn es um die Inhalte seiner Bücher geht. Auch in der Verlagsführung setzt er sie um. Seit jeher gilt: gleiche Honorare für alle Autoren; gleiche Gehälter für alle Lektoren. Und, so viel sei verraten, in Schwindel erregenden Höhen befinden sich keine von beiden.
Dafür haben die Autoren Mitspracherecht bei der Gestaltung ihrer Bücher. Dafür hat das Lektorat freie Zeiteinteilung und geht jeden Tag gemeinsam Mittagessen. Dafür sind die Wagenbach-Partys legendär. Und dafür wird die Druckerschwärze mit Tannennadelöl parfümiert, um bei der Lektüre für olfaktorisches Wohlbefinden zu sorgen.
Wagenbach vertritt einen bescheidenen Hedonismus - einen, bei dem es wichtig ist, zwischen Herzensangelegenheiten und solchen, die keine sind, zu unterscheiden. Und er weiß, wann es Zeit ist, loszulassen.
2002 übergab er die Verlagsleitung an seine Frau, Susanne Schüssler, und seine Tochter, Nina Wagenbach. "Der Verlag verjüngt sich, zu meinem Vergnügen", sagte er dazu, "denn je mehr er sich verjüngt, desto älter wird er."
Hör-Tipp
Von Tag zu Tag, Donnerstag, 27. April 2006, 14:05 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Veranstaltungs-Tipp
"Nach Italien! Vier Jahrzehnte Verlag Klaus Wagenbach. Der unabhängige Verlag für wilde Leser", Freitag, 28. April bis Samstag, 3. Juni 2006, Hauptbücherei Wien
Links
Büchereien Wien - Nach Italien!
Wagenbach Verlag