Aus dem unerhörten Leben eines Featureredakteurs
Die Tischdame
Von 29. April bis 4. Mai findet im Funkhaus in Wien die Internationale Featurekonferenz statt. Sinn dieser Zusammenkünfte ist, Radiomachenden die Gelegenheit zur Reflexion zu geben. Grund genug für den Gastgeber, das hier und jetzt zu beginnen.
8. April 2017, 21:58
Es ist ja nicht so, dass ich meinen Beruf nicht liebte. "Leiter Feature & Feuilleton" steht auf meiner Karte, so, als ob jeder Mensch wüsste, was das sei. Wobei die Gebildeten unter uns mit "Feuilleton" ja durchaus etwas anzufangen wissen. Kultur und Reise und so. Theater und Bücher. Und manches andere, was ansonsten keinen Heimathafen findet. Aber Feature?
Dutzende Male habe ich mir bei Abendgesellschaften, wo umsichtige Gastgeber mich zum Zwecke der Vermeidung sozialer Inzucht geschickt neben jemanden platzieren, den ich auf gar keinen Fall kenne, schon gewünscht, Wirtschaftsredakteur oder Sportreporter zu sein. Oder wenigstens Theaterkritiker. Erklärungsfreie Berufe sozusagen. Wie Tier- oder Zahnarzt.
Häufig sage ich, wenn mich jemand fragt, ich arbeite im Radio. ORF und Ö1. Und was machen Sie da genau? Feature, sage ich wahrheitsgemäß. Feature, aha. Interessant.
Und kann man sie da auch hören? Nein, sage ich zu meiner unbekannten Tischnachbarin genüsslich, die irgendwas mit Entwicklungsprojekten macht, nie. Alles Weitere würde zu lange dauern. Zumal einem auch keiner wirklich hilft. "Wer nach einer eindeutigen Definition dieser Programmform fahndet", stellte etwa der Medienwissenschafter Knut Hickethier schon vor mehr als zwanzig Jahren fest, "wird erfolglos bleiben". Die Folge: Ich gehe kaum mehr aus. Treffe nur mehr Leute, die ich eh schon kenne, spreche keine fremden Menschen an und lasse mir, bevor ich eine Einladung annehme, zuerst die Gästeliste geben.
"Feature", sagt der deutsche Feature-Papst (ja, sowas gibts) Peter Leonhard Braun, "Feature ist das unerhörte Leben selbst". Das ist tröstlich. Überhaupt wird unsereins permanent unterschätzt. Über den Featureautor - von der AutorIn war damals noch nicht die Rede - schrieben Richard Goll und Alfred Treiber, die Gründerväter des österreichischen Radiofeatures, dereinst:
Zunächst einmal beherrscht der Feature-Autor das journalistische Einmaleins. Das sowieso. Dann ist er literarisch unterwegs. Früher war er Redakteur, Lektor, Reporter mit Stereo-Gerät, Musikaufnahmeleiter, später Hörspielregisseur und jetzt, wohlwollend nimmt man es zur Kenntnis, hat er sich ganz dem Feature gewidmet (
) Ach ja, er hat natürlich auch (nicht fertig) studiert und mit sechs Jahren die Geige zu spielen begonnen (
).
Was natürlich auch nicht stimmt, in jedem Fall. Ich zum Beispiel habe Gitarre zu spielen begonnen, mit zehn. Aber das ist vielleicht eher ein Schicht- denn ein Genreproblem.
"Das Feature", lese ich zufällig in einer Aussendung des Kuratoriums für Journalistenausbildung, in welcher zu einer Schreibwerkstatt nach Salzburg geladen wird, "das Feature zeigt Typisches am Einzelfall". Nicht schlecht, stimmt auch irgendwie.
Also nicht: "Das Drogenproblem", sondern "Der Junkie". Nicht alle, sondern einer. Das Feature, definierte der Radiomann Heinz Schwitzke ebenso zutreffend wie umständlich, sei "ein Versuch, mit allen zu Gebote stehenden epischen, szenischen oder Reportagemitteln, poetisch und journalistisch, illustrativ und demonstrativ einen Komplex aus Wirklichkeit aufzubauen." Aber erklären Sie das einmal Ihrer Tischnachbarin, ohne sich lächerlich zu machen. Und wer zitiert, gerade gegenüber Tischdamen, schon gerne Schwitzke. Jemanden den ohnehin niemand kennt.
Susan Sonntag hat leider nicht über das Feature geschrieben. Auch Theweleit und Sloterdijk nicht. Nicht einmal Menasse. Und Schuh äußert sich nur abfällig, weil er stets um die Reinheit des Geistes und der Erkenntnis fürchtet, wenn man ein wenig akustisches Schmalz über die Ereignisse legt. Wenn im Englischen etwas "featureless" ist, ist es fad. Und etwas zu "featuren" heißt ja tatsächlich etwas "promoten" zu wollen, etwas "aufmotzen" was sich selbst alleine nicht trägt. Mittlerweile haben Autos "Features", digitale Kameras haben besonders viele und sogar bei Kaffeemaschinen habe ich schon welche entdeckt. Nichtsdestotrotz liebe ich meinen Beruf.
Neuerdings sage ich manchmal, Features sind "künstlerisch gestaltete Dokumentationen". Und sage gleichzeitig dazu, dass dies nur die etwas unscharfe Kürzestdefinition sei. Und dass wir sehr erfolgreich seien. Und, dass die Menschen Features liebten. Und, dass das Feature eine Genrebezeichnung sei, die erstmals in England Ende der 30err Jahre des vorigen Jahrhunderts aufgetaucht sei. Und, dass das Feature deshalb so schwer zu definieren sei, weil es sich Sendung für Sendung neu erfinde. Dass es von der klassischen Dokumentation bis zum literarischen Text reiche. Dass es opulent sein könne und unendlich zart. Und dass es uns ohnehin nur darum gehe, möglichst maximal gute Sendungen zu machen. Mit allen Mitteln. Und, dass es eh völlig wurscht sei, welches Etikett man draufpickt. Aber spätestens da hat sich meine Tischnachbarin bereits abgewandt. Sie unterhält sich jetzt mit dem Pressesprecher von Greenpeace. Ich arbeite beim Radio, sage ich, als sie uns höflicherweise miteinander bekanntmacht. ORF, Ö1. Schön, sagt der Pressesprecher, sehr schön. Ein wirklich guter Sender. Der einzige sogar. Schon aus beruflichen Gründen sei das Morgenjournal für ihn absolut Pflicht.
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