Die komplexe Welt der Fische
Sex & Lachs & Kabeljau
Birgit Pelzer-Reith ist es gelungen, ein unterhaltsames und spannendes Nachschlagewerk zu schreiben, das von harten Fakten bis hin zu aktuellen Streitigkeiten um Fangrechte und Artenschutz faszinierende Einblicke in die komplexe Welt der Fische gibt.
8. April 2017, 21:58
In unseren Breitengraden ist der Fisch - wenn überhaupt - nur als Stäbchen in der Tiefkühltruhe oder als Metapher für faule Machenschaften und Charakterzüge bekannt. Auch die Autorin Birgit Pelzer-Reith gibt zu, dass sie sich bis vor drei Jahren nicht sonderlich für Fische interessiert hat. Sie kocht zwar gern und auch gut, sagt die Molekularbiologin, aber von den kostbaren Details, die sich unter der zarten Flosse eines Forellenfilets verbergen, waren ihr nur ein Bruchteil bekannt.
In drei Jahren akribischer Recherchen ist es Birgit Pelzer-Reith gelungen, ein unterhaltsames und spannendes Nachschlagewerk zusammenzutragen, das von harten, biologischen Fakten über Ausflüge in die Mythologie bis hin zu den aktuellen Streitigkeiten um Fangrechte, Artenschutz und Tierversuche faszinierende Einblicke in die komplexe Welt der Fische gibt.
Von wegen stumm wie ein Fisch
Sind Fischtests ethisch wirklich unbedenklich, wie das deutsche Tierschutzgesetz suggeriert? Es schreibt vor, "höhere" Tiere erst dann zu Versuchszwecken heran zu ziehen, wenn Versuche an "niederen" Tieren wie Fischen keine Ergebnisse zeigen. Empfinden Fische wirklich keinen Schmerz?
Von wegen. Fische spüren nicht nur Schmerzen, sondern können auch gehörig unter Stress geraten. Das mag der gängigen Vorstellung von Kaltblütern zwar widersprechen, aber wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass Blutdruck und Herzfrequenz bei Fischen am Angelhaken massiv in die Höhe schnalzen. Fragt sich bloß, wo man solch trickreiche Details recherchiert, ohne sich jahrelang im Naturkundemuseum einzusperren. Die Antwort, die Birgit Pelzer-Reith gibt, hätte man sich eigentlich denken können: im Internet. Auf der Website http://www.fishbase.de kann man über Fische nicht nur lesen, sondern sie auch hören. Die Mär vom stummen Fisch ist also falsch.
Fische können knurren, grunzen, quieken, trommeln, zirpen, aber auch zischen und trompetenartige Töne erzeugen. Drücker-, Mond und Soldatenfische knirschen mit den Zähnen, andere reiben Teile Ihres Skeletts aneinander. Die Tigerfische wiederum trommeln mit speziellen Muskeln oder Sehnen auf ihrer Schwimmblase herum oder sie schlucken Luft und stoßen diese durch die Analöffnung der Schwimmblase wieder aus.
Der Sound der Riffe
Fische haben aber auch ein überaus feines Gehör. Ein Überlebenswichtiger Instinkt, vor allem für Korallenfische: "Kleine Fische gehen vom Riff weg, weil sie dort zu oft gefressen werden", erklärt Pelzer-Reith. "Sie kehren aber später zurück und orientieren sich dabei an den Sounds der Riffe."
Doch die Massen schnorchelnder Touristen, die sich mittlerweile auf den Malediven oder der Sinai-Halbinsel herumtreiben, machen die Orientierung zunehmend schwierig. Zusammen mit dem Lärm der Bohrtürme, Kreuzfahrtsschiffe und Fangfrachter draußen auf hoher See bringen sie mehr und mehr Korallenfische vom direkten Weg nach Hause ab. Viele schaffen es ohnehin nicht, dort anzukommen, denn seitdem exotische Fische zum letzten Schrei heimischer Wohnzimmeraquarien erkoren wurden, sind vor allem Tropenfische zunehmend vom Aussterben bedroht. Jedes Jahr werden 24 Millionen Zierfische aus Indien, Südostasien und Südamerika nach Europa und die USA geflogen, um als exzentrisches Dekorobjekt Großstadtvillen und Privatparks zu verzieren.
Gefährdete Arten
Umweltverschmutzung und Überfischung tun ein Übriges, um den weltweiten Fischbestand zu gefährden. 70 Prozent der Nutzbestände, allen voran Tunfisch, Seelachs, Kabeljau und Schellfisch, gelten heute als massiv bedroht. Aber der Kampf um Fangrechte geht erbittert weiter.
Der Fisch kann sehr wohl ohne den Menschen leben, doch ob der Mensch ohne den Fisch leben kann ist fraglich. Über 200 Millionen Menschen leben heute direkt oder indirekt vom Fischfang und der Fisch verarbeitenden Industrie.
Mit Regeln und Abkommen versuchen Regierungen, die Fische vor dem Menschen zu schützen. Vergeblich, wie die Verhandlungen auf EU-Ebene immer wieder demonstrieren.
Konsequenzen unbekannt
Die Konsequenz des schleichenden Aussterbens von Nahrungsfischen bleibt dem Konsumenten meist verborgen, denn wenn etwa die Kabeljaufangquoten wegen Überfischung reduziert werden, kommt in die Fischstäbchen eben Seelachs und nicht mehr Kabeljau rein. Schmecken tut das dank künstlicher Aromen und Geschmacksverstärker ohnehin keiner.
Womit sich die Frage aufdrängt, ob der leidenschaftlichen Köchin während der Recherche nicht der Appetit auf Fisch vergangen ist? Durchaus nicht, sagt Birgit Pelzer-Reith, denn sie wohnt schließlich am Fuschlsee in Salzburg, und dort sind nachhaltige Fischzucht und bedachter Fischfang oberstes Gebot.
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
Download-Tipp
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Buch-Tipp
Birgit Pelzer-Reith, "Sex & Lachs & Kabeljau. Das Buch vom Fisch", Marebuchverlag, ISBN 3936384347