Der Mozart der Schweizer Fernsehunterhaltung

Charles Lewinsky

Mit seiner SitCom "Fascht e Familie" schrieb Charles Lewinsky Schweizer Fernsehgeschichte. Nach seiner Arbeit als Liedertexter, Drehbuch- und Theaterautor stürmt er jetzt mit seinem Roman über die Schweizer jüdische Familie "Melnitz" die Bestsellerlisten.

Wenn es ihn nicht als Person gäbe, dann hätte er sich selbst auch glatt als Kunstfigur erfinden können: Charles Lewinsky: 1946 in Zürich geboren, wuchs in einer jüdischen Familie auf und sorgte besonders mit seinem vor kurzem erschienenen Buch "Melnitz" - einer jüdischen Familiengeschichte - für Aufsehen und gute Kritiken.

Ich bin langweilig
Mit seiner SitCom "Fascht e Familie" hatte Charles Lewinsky riesigen Erfolg in der Schweiz, sein Roman "Johannistag" erhielt den Schillerpreis und mit seinen Theaterstücken "Freunde, das Leben ist lebenswert" über den im KZ umgekommen Operetten-Librettisten Fritz Löhner-Beda oder "Heimat sweet Heimat" berührt er immer wieder Wien.

Zur Uraufführung seines Stückes "Heimat, Sweet Heimat" im Wiener Stadttheater ist Charles Lewinsky nach Wien gekommen. Der Mann der die Kunst des Schreibens und Formulierens in vielerlei Formen beherrscht, sitzt in der Ecke eines Kaffeehauses, schmunzelt kurz und beschreibt sich quasi als Antithese zu dem, was er mit seinen Werken tut und bewirkt, so: "Ich bin ein furchtbar langweiliger Mensch".

Beispielhaftes Lob
In einem öffentlichen Brief schrieb Peter Rothenbühler, Chefredakteur von "Le Matin" in der Schweizer Weltwoche:

Lieber Charles Lewinsky, wissen Sie eigentlich, was Sie da angestellt haben? Alles über den Haufen geworfen haben Sie, Sie, der Unterhaltungs-Fuzzi, der Sachen wie "Fascht e Familie" verbrochen hat. Siebenhundert Schlager, tausend TV-Shows getextet, für Publikumslieblinge wie Harald Juhnke Sketches bebrünzelt, zehn Bücher und acht Bühnenstücke in die Schreibmaschine gehackt. Sie, der "Mozart der Schweizer Fernsehunterhaltung", ausgerechnet Sie haben den dicken Roman "Melnitz" geschrieben, für den Sie mit uneingeschränktem Lob eingedeckt wurden.

Kindheitserinnerungen

Charles Lewinsky wuchs in Zürich auf, und auch wenn es in der Schweiz keinen offenen Antisemitismus gab, so hat er es schwerer als viele andere gehabt: "Es sind ja oft die kleinen Erfahrungen des Antisemitismus, die einen mehr prägen als die großen", spielt Lewinsky auf die Reaktionen der Mitschüler an, wenn er im Züricher Gymnasium am Samstag nicht mitschreibt. "Es ist hart, orthodoxer Jude zu sein. Wir hatten in der Woche zehn Stunden Religionsunterricht neben der Schule."

Sprachschule
Nach der Schule studierte Charles Lewinsky Germanistik und Theaterwissenschaft und wurde Regieassistent bei einer prägenden Persönlichkeit des deutschsprachigen Theaters - bei Fritz Kortner.

Seit 1980 ist Charles Lewinsky als freier Autor tätig. In dem Gedicht "Zueignung" von H. C. Artmann heißt es unter anderem: "Lerne was, so hast du was. Kauf Dir drum ein Tintenfass, füll die Feder dann darin, nimm Papier schärf deinen Sinn" - dies könnte exakt den Zugang von Charles Lewinsky zum Schreiben definieren.

Melnitz
In seinem Buch "Melnitz" schildert Charles Lewinsky am Beispiel einer Familie auch die gesellschaftliche Situation der Schweizer Juden - über fünf Generationen hinweg werden Leben und Schicksale der einzelnen Personen begleitet und beschrieben. Der Roman beginnt mit dem Jahr 1871, und es geht weiter mit dem Jahr 1893, in dem die erste je eingereichte Volksinitiative in die Schweizer Geschichte einging: das Schächtverbot, das in die Verfassung bzw. in das Tierschutzgesetz aufgenommen wurde. Zuvor gab es viele Diskussionen, und zu einer dieser Diskussionen fährt im folgenden Zitat der Schächter Pinchas Pomeranz:

Er hatte deshalb auch seinen goijischsten Anzug angezogen, graue Schurwolle und eigentlich viel zu heiß für diese Jahreszeit. Er hatte den Anzug für eine unbezahlte Fleischrechnung in Zahlung genommen, vom Schneider Turkawa, der das gute Stück eigentlich für einen Professor an der Eidgenössischen Technischen Hochschule genäht hatte, der ihn bei seiner Antrittsvorlesung hatte tragen wollen. Er war dann aber doch nicht berufen worden und hatte den Anzug nie abgeholt... Turkawa hatte ihm den Anzug angepasst; er saß perfekt, und Pinchas sah darin überhaupt nicht jüdisch aus...

Seinen ersten "echten" Roman hat Charles Lewinsky weggesperrt, er hatte mit ca. 20 Jahren geschrieben. Dieses Werk sei spätpubertär und vermutlich würde man - wie er sagt - "Akne vom Lese kriegen". Außerdem würde das Werk vor Spracheitelkeit und "Mätzchen" strotzen und Lewinsky ist froh, dass er soviel Geschmack gehabt hätte, diesen Roman niemand zu zeigen.

Wiener Revue
Charles Lewinsky hat auch eine Reihe von Theaterstücken geschrieben. Seine Musikrevue "Heimat, sweet Heimat" wurde vor kurzem in Wien uraufgeführt: ein Stück über Emigration und das Leben im Exil - dargeboten am Beispiel eines Wiener Cafés in New York 1940, das Paula Schramek, eine Wiener Emigrantin betreibt. Hier arbeiten Herr Johann, ein Kellner, der auch aus Wien flüchten musste und Sam, ein osteuropäischer Jude, der Klavierspieler, der sich als Amerikaner fühlt.

Wenn Charles Lewinsky nicht von einem Auftraggeber Vorgaben erhält, stellt er sich seine Aufgaben selbst und arbeitet mit Akribie und Intensität daran.

Mit dem Publikum rechnen
Wenn er Texte für Fernsehserien schreibt, dann denkt er an das Publikum und daran wie er dieses - wenn nötig - mit einer Art von "Breitbandantibiotikum" erreichen kann, denn: es sei nicht einfach mehrere Publikumsschichten gleichzeitig anzusprechen. Und daher würde er versuchen, in seinen Texten verschiedene Ebenen der Interpretation und des Verstehens einzuarbeiten.

Alles Arschlöcher
Charles Lewinsky spielt mit Wörtern: er wirft sie in die Luft, fängt sie auf und formuliert sie zu einem Text. "Der A-Quotient. Theorie und Praxis des Lebens mit Arschlöchern" ist für Charles Lewinsky keine Geschichte sondern "ein zu Papier gebrachter Tobsuchtsanfall", der seinen Ausgang in der Betrachtung einer deutschen Fernsehserie genommen hat. Er formuliert und leitet Lehrsätze ab, wie: "In jeder Gruppe von Menschen liegt der Anteil der Arschlöcher immer über fünfzig Prozent. Oder anders formuliert: Die Arschlöcher haben immer die Mehrheit. Oder: Der A-Quotient einer Gruppe ist unabhängig von Geschlecht, Alter, Nationalität, Hautfarbe, Bildungsgrad oder irgendwelchen anderen Eigenschaften."

Auseinandersetzung mit dem Jüdisch-Sein
"Ein ganz gewöhnlicher Jude" war eine Auftragsarbeit für ein Drehbuch, das eine Lebensabrechnung des deutschen Juden Emanuel Goldfarb darstellt. Mit diesem Film - mit Ben Becker in der Hauptrolle - hoffte Lewinsky, dass sich die Klischees in den Köpfen der Menschen über "Juden" ändern würden, dass das Publikum erkennen würde, dass es "den Juden" genauso wenig gibt, wie "den Deutschen"...

Charles Lewinsky hat in Österreich, in der Schweiz und in Deutschland eine unterschiedliche Umgangsweise mit "den Juden" beobachtet und erfahren. Während Antisemitismus in der Schweiz offiziell kein Thema ist, und sich in Deutschland eine Art zwanghafter Philosemitismus beobachten lasse, so Lewinsky, herrsche in Österreich etwas vor, dass der Autor spitz Didgeridoo-Philosemitismus nennt: "

Erst rottet man die Aborigenies aus und dann kauft man sich ein Didgeridoo und bläst sich in ihre Seele rein. So ist das irgendwie mit den Juden. Es gibt angenehmerweise nicht mehr so viele in Österreich, sodass man sie als rare Tierart bewundern darf. Es gibt so einen wunderbaren jüdischen Witz, der das schön erklärt: Woran erkennt man, ob man sich in einem christlichen oder in einem jüdischen Haushalt befindet? Wenn sie Klezmer spielen, dann sind es Christen.

Gestaltung der Sendung: Petra Herczeg und Rainer Rosenberg

Hör-Tipp
Menschenbilder, Sonntag, 9. April 2006, 14:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonenntInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Link
Charles Lewinsky