Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes

Auf der Suche nach dem Gedächtnis

Eric Kandel, Professor an der Columbia Universität in New York, beschäftigt sich seit den 1950er Jahren in seinen Forschungen mit dem Aufbau des Gehirns. Im Jahr 2000 wurde ihm für seine Forschungsarbeit der Nobelpreis für Medizin verliehen.

In seinem Buch "Auf der Suche nach dem Gedächtnis" geht der Hirnforscher und Nobelpreisträger Eric Kandel seinen frühen Erinnerungen an Wien nach, wo er seine Kindheit verbrachte. Seine persönliche Geschichte, sein daraus resultierendes zwiespältiges Verhältnis zu Wien, sowie seine erfolgreiche Karriere in den USA sind aber nur Anlass für das eigentliche Thema des Buches und die Leidenschaft des Autors: die Entwicklung der Gedächtnisforschung. Der 1929 geborene Wissenschaftler, einer der Pioniere dieser Disziplin, gibt einen spannenden, wenn auch für den Laien nicht immer leicht verständlichen Überblick.

Forschung als Lebenselixier

Anfang der 50er Jahre, als Eric Kandel mit seinem Medizinstudium begann, steckte Hirnforschung als wissenschaftliche Sparte in den Kinderschuhen. Es war damals noch nicht einmal 100 Jahre her, dass der spanische Anatom Santiago Ramon y Cajal das Neuron, also die Nervenzelle als Grundbaustein des Gehirns erkannt hatte.

"Als ich als Student im Labor die Übertragungen zwischen den Nervenzellen in Flusskrebsen aufnahm, wiederholte ich damit ein Experiment, das erst wenige Jahre alt war", erzählt Kandel. "Später, bei den National Institutes of Health beschloss ich, jenen Teil des Gehirns, der mit der Gedächtnisbildung befasst ist, näher zu untersuchen. Ich war der erste, der Signale zwischen einzelnen Zellen im so genannten Hippocampus aufzeichnete."

Die Forschung war und ist Eric Kandels Lebenselixier. Darüber vergisst er alles. Was für den 76-Jährigen nach wie vor die Faszination der Forschung ausmacht, erklärt er so: "Forschung hält einen jung. Sie fördert die kindliche Neugier. Selbst die kleinste Entdeckung von etwas, das man noch nie gesehen hat, ist wunderbar. Oder wenn man eine Idee mit sich herumträgt, und plötzlich, während man unter der Dusche steht, fällt einem ein Zusammenhang zwischen zwei Dingen ein. Das ist ungeheuer befriedigend."

Nobelpreis 2000

Eric Kandel fand heraus, dass mit dem Langzeitgedächtnis befasste Nervenzellen sich anatomisch verändern, wenn sie Information speichern. Für die Entdeckung der Signalübertragung im Nervensystem wurde ihm, gemeinsam mit zwei Kollegen, im Jahr 2000 der Nobelpreis verliehen. Das sei schon etwas ganz Besonderes gewesen, erinnert sich der Forscher: "Eine großartigere Nachricht ist nicht vorstellbar. Der Nobelpreis lässt sich mit keinem anderen vergleichen. Der Nobelpreis ist eine wunderbare Ehrung der Wissenschaft. Und er verändert das Leben unwiderruflich."

Selbst die eigenen Kinder, sagt Eric Kandel scherzhaft, betrachten ihn seither mit mehr Respekt. Ein Nachteil des Preises sei, dass man mit Einladungen zu Vorträgen überschüttete werde. Leider könne er nicht gut "nein" sagen. Einer der Vorteile: Es sei viel leichter, Privatmittel für die Forschung aufzutreiben. Und an Ideen herrsche in den Neurowissenschaften kein Mangel.

Eine Brücke bilden

Kandel wagt auch einen Blick in die Zukunft: "Es ist vorstellbar, dass die Neurowissenschaften eine Brücke bilden: zu den Naturwissenschaften, die das Universum erklären, und zu den Humanwissenschaften, die sich mit der menschlichen Existenz befassen", meint er. "Es wird eine Verbindung zwischen Neurowissenschaften und Psychologie geben. Jeder Psychologe befasst sich mit geistigen Prozessen; alle geistigen sind letztlich Hirnprozesse. Es wird also zu einer Verschmelzung der Disziplinen kommen."

Auch zwischen der Soziologie und den Neurowissenschaften sieht Kandel Berührungspunkte: "Uns wird allmählich klar, dass bestimmte Gene soziales Verhalten bestimmen. Wir werden verstehen, wie Gruppen sich zusammenfügen und wie, als Folge davon, Außenseiter entstehen."

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 23. Juli 2009, 21:01 Uhr

Buch-Tipp
Eric Kandel, "Auf der Suche nach dem Gedächtnis. Die Entstehung einer neuen Wissenschaft des Geistes", aus dem Amerikanischen übersetzt von Hainer Kober, Siedler Verlag, ISBN 3886808424