Hasse-Oratorium erstmals in Ö1

Premiere für "I Pellegrini"

Johann Adolf Hasse (1699-1783), zu seiner Zeit einer der bedeutendsten Opernkomponisten, war Hofkapellmeister in Dresden. Das Oratorium "I Pellegrini al Sepolcro di Nostro Signore", das als sein bestes gilt, ist nun erstmals in Ö1 zu hören.

Der aus Bergedorf bei Hamburg stammende Johann Adolf Hasse (1699-1783) hatte in Italien bei den bedeutenden Opernkomponisten Nicola Porpora und Alessandro Scarlatti studiert und die venezianische Starsängerin Faustina Bordoni zur Frau genommen. Mit 32 Jahren wurde er Hofkapellmeister in Dresden, genoss aber die Freiheit, Opern auch für andere Höfe, Theater und Institutionen zu komponieren. So wirkte er z. B. 1735 am Ospidale degli Incurabili, einem der vier venezianischen Einrichtungen, in denen Waisenmädchen und Frauen in Gesang und Instrumentalspiel unterrichtet wurden.

"I Pellegrini al Sepolcro di Nostro Signore", das Werk des damals 43-jährigen Dresdner Hofkapellmeisters mit einem Libretto von Stefano Benedetto Pallavicino, wurde am Karfreitag 1742 in der Hofkapelle zu Dresden zum ersten Mal aufgeführt. Es gilt als Hasses bestes Oratorium.

Ein idealer Oratorientext

Mitentscheidend dafür war das Libretto, nach dem Urteil des zeitgenössischen Kunstästhetikers Johann Georg Sulzer der ideale Oratorientext schlechthin. In ihm treten weder biblische noch allegorische Gestalten auf, sondern - gleichsam stellvertretend für alle Zuhörer des Oratoriums - vier Pilger.

Sie lassen sich von einem ortsansässigen Eremiten zu den zentralen Stätten des Leidens Christi führen. Die Passion wird also aus zweiter Hand erzählt und von den beteiligten Personen nachempfunden.

Lebenspilgerschaft gläubiger Menschen

Dabei äußern im ersten Teil zunächst drei der vier Pilger ihre Gedanken und Gefühle vor den Toren Jerusalems, bis endlich der vierte von ihnen mit dem lange erwarteten Reiseführer kommt. Im zweiten Teil führt dann der Weg vom Garten Getsemane zum Richthaus sowie nach Golgatha und zum Grab Christi.

Beide Teile enden mit einer gemeinsamen Betrachtung, in der die punktuelle Pilgerreise nach Jerusalem in Beziehung gesetzt wird zur gesamten Lebenspilgerschaft gläubiger Menschen.

Die Erwartungen der Pilger

Zunächst schaut der Pilger Albino auf das zerstörte Jerusalem, das um die Mitte des siebten Jahrhunderts, in dem die Pilgerreise anzusetzen ist, nichts mehr von der legendären Pracht der Zeit des Passionsgeschehens aufzuweisen hat. Die Erwartungshaltung des Eugenio ist demgegenüber von einer gewissen freudigen Erregung bestimmt, die ihn die Strapazen der ermüdenden Reise vergessen lässt.

Der dritte Pilger namens Teotimo erinnert nun im Folgenden an die Gefahren der überstandenen Seereise und dankt Gott für seine schützende Hand. Dann kommt Agapito, der Vierte der Pilgergruppe mit dem Fremdenführer und schildert in vorauseilender Phantasie die erwartete Erfüllung der Reise.

Die beiden Teile des Oratoriums

Der erste Teil endet mit einem zwei- und dreistimmigen Wechselgesang sowie dem gemeinsamen Wunsch, dass sich dereinst auch die Tore zum himmlischen Jerusalem öffnen mögen. Zu Beginn des zweiten Teiles von Hasses Oratorium befinden wir uns im Garten Getsemane, in dem Christus vor seinem Leiden gebetet hatte. Eugenio reflektiert über die Stärkung, die der Bote der göttlichen Liebe mit dem Hinweis gebracht hatte, das Leiden gelte der Erlösung der Menschen.

Dann geht es zum Platz des Judas-Verrats sowie zu den Ruinen des Gerichtshauses, wobei die Pilger eingebettet in den Sachbericht des Fremdenführers ihre besondere Betroffenheit mit dem so ungeheuerlichen Geschehen artikulieren. Der Eremit aber unterstreicht dies noch insofern, als er in seiner Arie ein pathetisches Stimmungsbild der Misshandlungen Christi zeichnet. Leidenschaftlich wie diese Darstellung der Misshandlungen Christi ist auch die Reaktion des Pilgers Teotimo, der sich den Schächern hätte anbieten wollen, um dem unschuldig Gemarterten weitere Leiden zu ersparen.

Bitte um Segen für ein besseres Leben

Nun steigt man zu der Stelle empor, an der das Kreuz in den Felsboden eingelassen war. Da ist es Agapito, der die Glaubensbrüder auffordert, zum Gebet niederzuknien, und der daran erinnert, dass Gott mehr als Tränen, dass er Liebe verlangt. Den Reueworten der anderen antwortet der Eremit mit dem Rat, ihre Gebete am Grab Christi zu vollenden, und Teotimo spricht dort, stellvertretend für alle Pilger, das Schuldbekenntnis und die Bitte um Segen für ein besseres Leben.

Der abschließende Chor schließlich nimmt den Gedanken des Teotimo auf mit den Worten, die in einer zeitgenössischen Übersetzung wie folgt lauten:

Uns, die hier als Pilger wallen
und oft wanken, und oft fallen,
leite du die rechten Pfade,
Gott der Gnade!
Wenn wir straucheln, hilf uns auf.

Unsres Eifers und Bestrebens
treue Müh’ ist nicht vergebens,
denn es krönt der Lohn des Lebens
unsern Kampf und unsern Lauf.

Hör-Tipp
Konzert am Vormittag, Donnerstag, 6. April 2006, 10:05 Uhr

Links
Il Seminario Musicale
Johann Adolph Hasse Gesellschaft München e.V.