Schnecken und Söhne: Geschwister im Geiste

Von Schnecken und Söhnen

Graut Ihnen vor Kriechtieren? Mir schon. Was nicht bedeutet, dass ich sie töten könnte. Ich kann nämlich gar nichts töten. Dafür kann ich seltsame Zusammenhänge erzeugen: Und siehe da, von der Schnecke zu Johnny sind es nur ein paar Kilometer mit dem Auto.

Wir hatten eine Schnecke zu Gast. Wochenlang lebte sie auf dem Küchenfensterbrett, mittlerweile ist das Tierchen nach Königstetten übersiedelt. Genauer gesagt: am Samstagabend. Auf dem Weg dorthin (ich hinter dem Volant, die Schnecke auf dem Beifahrersitz) wollte ich ihr noch ein paar gute Worte zuflüstern. Nach dem Motto: Hüte Dich vor jungen Amseln! Verkriech Dich bei Nachtfrost unter den Blättern!
Aber dann hab ich doch nichts gesagt. Sondern nachgedacht. Manchmal hat man ja beim Nachdenken Glück und es fällt einem was ein. Oder auf. Zusammenhänge, zum Beispiel, oder Parallelen. Zwischen Kriechtieren und … na ja. Söhnen.

Vor einigen Wochen ist mir aus dem Kopfsalat-Sackerl eine Schnecke entgegen gekugelt. Bitte, was macht man im Frühling, der Winter spielt, mit einer Schnecke? Mitten im siebten Wiener Gemeindebezirk? Aussetzen? In den Mist schmeißen? Kann ich nicht.

Somit hauste das junge Ding in einem Plastikgeschirr auf dem Fensterbrett, versorgt mit frischem Salat und ein paar Tropfen Wasser, ab und an. Anfangs war unsere Beziehung noch instabil: Jedes Mal, wenn ich meinen Ekel soweit überwunden hatte, ihr Schmutzzeugs wegzuräumen und den Salat zu erneuern, dankte mir Frau Weinberg mit Schaumattacken. Ich wusste nicht, dass die das überhaupt können - nämlich zwischen Schneckenhaus und Schneckenhaut Schaum rausquetschen und dabei komische Geräusche machen.
Aber dann hatten wir uns doch aneinander gewöhnt. Was so eine Schnecke wohl denkt? Letzten Samstag war es schön genug, sie der Natur zurückzugeben. Praktischerweise war ich zum Essen eingeladen, in ein hübsches Haus, das neben einer ebenso hübschen niederösterreichischen Wiese liegt. Und dort lebt die Schnecke jetzt (hoffentlich noch immer).

Auf dem Weg nach Königstetten fiel mir ein, dass mein Sohn Johnny und die Schnecke frappante Ähnlichkeiten aufweisen. Ok, Johnny ist viel größer, hübscher und alles andere als schleimig. Aber in Sachen Zimmer versauen sind die beiden eindeutig Geschwister im Geiste. Und sowohl die Schnecke als auch er lieben es anscheinend, stundenlang in einer Art lebendiger Starre in der Ecke zu hocken, um unvermittelt in den Fressmodus zu wechseln. Wenn ich dann irgendwas sage, giften sie mich an. Der eine wie die andere.

Hat das was mit meinem Verhalten zu tun? Denn ich bin ja fair und behandle alle meine Kinder gleich. Ich bin Gott. Ich bestimme, wann es frisches Futter gibt. Ich sorge für ein halbwegs vernünftiges Umfeld. Und, beileibe: ICH entscheide, wann Zeit ist, das Junggemüse in die Freiheit zu entlassen. Vorher muss nämlich alles passen: Der Boden nicht mehr allzu kalt, die Nächte so gut wie frostfrei, die Ausbildung abgeschlossen, der Impfschutz aufgefrischt und ein kleines Startkapitälchen angespart.

Und dann, vielleicht.

Die Erkenntnis kam kurz nach Neuwaldegg: Was für ein Schwachsinn. Der Zeitpunkt, Knaben (oder Schnecken) frei- bzw. loszulassen, wird nie der richtige sein. Es wird immer zu kalt, zu früh oder sonst was sein. Also beschloss ich auf dieser kurvenreiche Strecke, mit meiner Pflegeschnecke auch meinen Sohn ein wenig mehr loszulassen. Versuchsweise. Innen drinnen.

Mal sehen, wie das funktioniert.

Und wehe, Sie drängen mich jetzt in die Lebenshilfe-Esoterikecke. Ich kenne da eine Schnecke in Königstetten, die kann Schaum schlagen wie keine andere. Sagen Sie nicht, ich hätte Sie nicht gewarnt.