Wo ist Heimat zu finden?
Daheim ist daheim
Was bedeutet Heimat? Gilt "Ubi bene ibi patria", wo man sich wohl fühlt, da ist man zu Hause - oder "home is where you hang your hat", Heimat ist, wo man seinen Hut hinhängt? Besonders Dichter und Denker haben ein ambivalentes Verhältnis zur Heimat.
8. April 2017, 21:58
"Man muss Heimat haben, um sie nicht nötig zu haben" hat der österreichische Exil- Schriftsteller Jean Amery in seinem viel zitierten Essay "Wieviel Heimat braucht der Mensch?" geschrieben. "Kehr heim in die Fremde" heißt es bei Peter Handke.
Gerade in Zeiten der Liberalisierung und Globalisierung hat die Heimat keineswegs ausgedient, behaupten Psychologen. Schutz und Sicherheit sind ein Grundbedürfnis. "Wieviel Globalisierung verträgt der Mensch?" fragt der deutsche Philosoph und Essayist Rüdiger Safranski in seinem gleichnamigen Buch aus dem Jahr 2003.
Geliebte und gehasste Heimat
Lange Zeit war das Bedürfnis nach Heimat tabu. Zumindest in fortschrittlichen Kreisen. Da war es abgestempelt als Ausdruck von Rückständigkeit, als verachtenswert niedriges Gefühl ewig Gestriger.
Erklärbar war diese radikale Ablehnung aus dem Missbrauch des Begriffes Heimat im Nationalsozialismus. Jetzt ist Heimat wieder in aller Munde, vor allem in Bezug auf Arbeitsimmigranten, in Österreich machen sie immerhin zehn Prozent der Bevölkerung aus. In der Politik gäbe es ein regelrechtes Tauziehen um das Thema Heimat, sagt der Salzburger Politikwissenschafter Herbert Dachs.
Neueste empirische Daten bestätigen die Sehnsucht nach Heimat, auch wenn sich das Bild gewandelt hat. Der Geburtsort hat zum Beispiel für das Heimatgefühl stark an Bedeutung verloren.
Angst vor dem Fremden
Als Gegengewicht zur sicheren Heimat gibt es die Lust nach dem Beunruhigenden, nach dem Ungewissen, dem Fremden. Auch das ist, nach dem Psychologen Abraham Maslow, ein menschliches Grundbedürfnis.
Angst macht das Fremde vor allem dann, wenn es nicht fassbar ist. Wenn wir es - im Wortsinn- nicht begreifen können. Dazu gehören Botschaften und Bilder aus den Massenmedien wie Fernsehen oder Internet.
Das Fremde in uns
In dem Aufsatz "Angst und Faszination" beschäftigt sich die Schweizer Tiefenpsychologin der C.J. Jung Schule, Verena Kast, mit dem Fremden, und zwar mit dem Fremden in uns und außerhalb von uns.
Beängstigend werde das äußere Fremde besonders dann erlebt, wenn wir spüren, dass es uns etwas angeht, weil es mit unserem inneren Fremden zu tun hat. Sigmund Freud hat den Ausdruck vom "inneren Ausland" geprägt. Elend und Ausland sind übrigens etymologisch verwandt.
Innere Heimat und äußere Heimat hängen eng zusammen. Das eine ist ohne das andere kaum zu finden. Wer Heimat hinterfragt, stellt sich selber in Frage und umgekehrt.
Woher kommt das Wir-Gefühl?
Woher kommt das Bedürfnis nach Heimat? Wie bilden sich Wir-Gefühle heraus? Der Soziologe Norbert Elias erklärt sie stammesgeschichtlich aus den Überlebenseinheiten. Im ständigen Überlebenskampf gegen eine feindliche Natur konnte dem anatomisch modernen Menschen vor 150.000 Jahren nur die Gruppe helfen. Entsprechend stark waren die Wir-Gefühle.
Ursprünglich beschränkten sie sich auf Kleingruppen. Langsam bildeten sich größere Integrationseinheiten heraus: auf die Sippe folgte der Stamm, auf die Fürstenstaaten die Nationalstaaten.
Der Grazer Soziologe Helmut Kuzmics übernimmt das Modell der Überlebenseinheiten von Norbert Elias. Kuzmics sieht eine Renaissance der Nationalitätsgefühle in der Gegenwart. Nicht nur der Bosnienkrieg sei ein Beleg dafür, sondern auch Sportveranstaltungen wie die Olympischen Spiele oder Fußballweltmeisterschaften.
Der Nationalstolz
Intellektuelle sind oft Rationalisten. Gefühle werden streng kontrolliert. Anders ist es meist bei breiteren Schichten. Da sind starke Gefühle gängig, auch starke Heimat- und Nationalitätsgefühle.
Gefühle wie Nationalstolz sind nicht passé. Zumindest nicht in Österreich Im Gegenteil: Untersuchungen haben ergeben, dass mehr als zwei Drittel der Österreicher stolz auf ihre Heimat sind. Weit weniger sind es in Deutschland.
Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 5. April 2006, 21:01 Uhr
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