Literarische Todessonate
Am Seil
Der deutsche Literatur-Shooting-Star Thomas Lang analysiert in seinem neuen Roman "Am Seil" eine von trister Verständnislosigkeit geprägte Vater-Sohn-Beziehung. Mit lakonischem Humor beschreibt er den letzten gemeinsamen Ausflug zweier Gescheiterter.
8. April 2017, 21:58
Thomas Lang gilt als einer der Shooting Stars der jungen deutschen Literatur. Schon für seinen 2002 erschienen ersten Roman "Than wurde er mit dem Bayrischen Staatsförderungspreis ausgezeichnet. 2005 ging der studierte Germanist und Vater einer Tochter als Sieger aus dem Klagenfurter Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb hervor. Nun ist sein Roman "Am Seil" erschienen, der einen Vater-Sohn-Konflikt zum Thema hat.
Familienüberdruss
Nun, also. Er wird da reingehen. Bert wird da sein. Vielleicht werden sie streiten, vielleicht nicht. Es wird nicht lange dauern. Egal, was passiert, er wird es getan haben. Er wird abschließen können.
Der einstige Erfolgsmensch Gert ist in der Krise, und diese Krise treibt ihn zu einem spontanen Besuch bei seinem Vater im Altersheim - einem Vater, der von seinem Sohn nie viel gehalten hat. Der den Sohn immer gering schätzte, und der dessen Karriere als Fernseh- Showmaster gar nicht erst wahrnahm - das glaubt jedenfalls der Sohn. Ein Irrtum, wie sich noch heraus stellen wird.
Sinn des überraschenden Besuchs: eine Aussprache. Der vielleicht letzte Versuch einer Klärung der Verhältnisse zwischen dem alten, kranken Vater und dem Sohn.
Auf dem Abstellgleis
Bert, der Vater, lebt im Seniorenheim. Er ist beinahe ein Pflegefall. Für den ehemaligen begeisterten Sportler und Turnlehrer ist das besonders bitter. Es hindert ihn indes nicht daran, seinen Sohn Gert weiterhin für einen verweichlichten, wehleidigen Feigling zu halten.
Gert, der Sohn, hatte in letzter Zeit eine Pechsträhne. Der gefeierte Fernseh-Showmaster hatte in einem Anfall von Übermut einer Assistentin zwischen die Beine gegriffen. Die brachte den Vorfall an die Öffentlichkeit, was das Ende seiner Karriere bedeutete. Im Supermarkt, beim Friseur, im Kaffeehaus - wo immer er hinkommt, wird Gert als "der Grapscher erkannt.
Potenzierte Tristesse
So treffen sich in Thomas Langs Buch über den Besuch des Sohns beim Vater zwei Gescheiterte: Zwei Menschen, die, jeder auf seine Weise, ihrem gegenwärtigen Dasein keinen Trost mehr abzugewinnen vermögen. Verstanden haben sie einander ohnehin noch nie. Die Kommunikation zwischen dem einst autoritär zupackenden Vater und seinem sensiblen, künstlerisch veranlagten Sohn war immer schon von Missverständnissen, vom Verschweigen, vom Um-den-Brei-Herumreden geprägt.
Schmerz- und Todessonate
In Thomas Langs schmalem, konzentriert geschriebenem Band umfließen und überlagern, ergänzen und konterkarieren sich zwei Stimmen in ihrem je eigenen Leid. Trotz aller gegensätzlichen Sicht der Welt und des Lebens treibt die emotionale Abhängigkeit die beiden immer wieder aufeinander zu. Gemeinsam beschließen sie, den Gutshof aufzusuchen, jenes Haus, in dem der Vater den größten Teil seines Lebens, der Sohn immerhin seine Kindheit verbrachte.
Sein Vater krabbelte rückwärts aus dem Auto. Sogar seine Gehhilfe angelte er sich irgendwie. Gert schaute ihm zu, ohne einen Finger zu rühren. Das Elendsbild des mit den Kräften der Erde ringenden alten Mannes berührte ihn nicht. Bert würdigte ihn seinerseits keines Blicks.
Unverständnis, Hass und emotionale Abhängigkeit kulminieren in der leeren Scheune des stillgelegten Gutshofs in einem effektvollen Showdown zwischen Vater und Sohn.
Feinfühliges Kammerspiel
Thomas Lang hat ein intensives, dichtes Buch geschrieben, das die ganze Tragweite der Missverständnisse zwischen Vätern und Söhnen abhandelt.
Mit einem lakonischen, mitunter schnoddrigen Erzählton, mit einer guten Prise Humor und manchmal durchaus derbem Witz versteht es der Autor, seiner Erzählung das Seelisch-Schmerzvolle wohldosiert auszutreiben. Kleine, komische bis groteske Vorfälle konterkarieren wohltuend die Bedeutungsschwere. So hat Thomas Lang mit "Am Seil ein Buch vorgelegt, das man allen Freunden des psychologischen Kammerspiels nur empfehlen kann.
"Das Buch der Woche" ist eine Aktion von Ö1 und Die Presse.
Hör-Tipps
Kulturjournal, Freitag, 31. März 2006, 16:30 Uhr
Ex libris, Sonntag, 2. April 2006, 18:15 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung "Ex libris" nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Thomas Lang, "Am Seil", Verlag C. H. Beck, ISBN 340654368
Links
C. H. Beck - Am Seil