Was hast du damals getan?

Die Fragen der Enkel

Nationalsozialismus, Krieg und Holocaust sind in Österreich in den meisten Familien Teil des Familiengedächtnisses. Für Kinder der Kriegsgeneration war der Zugang zu diesen Familiengeschichten vielfach von Verdrängung oder Schuldzuweisung gekennzeichnet.

Der Nationalsozialismus und der Holocaust sind in Österreich nicht nur Teil der "großen" Geschichte, sondern auch der Familiengeschichten. Denn diese wenigen Jahre des 20. Jahrhunderts haben Auswirkungen in den Biografien fast aller Menschen hinterlassen.

Mittlerweile kann man davon sprechen, dass die Erinnerungen an die Zeit des Zweiten Weltkriegs bereits drei Generationen betreffen. Und diese drei Generationen - also die so genannte Kriegsgeneration, die den Nationalsozialismus selber erlebt hat, die zweite Generation ihrer Töchter und Söhne, und die dritte Generation der Enkel - sie gehen mit den Erinnerungen unterschiedlich um.

Versuche der Aufarbeitung

In der letzten Zeit sind gleich mehrere Bücher zu dieser Thematik erschienen. Es geht in ihnen um die Frage, wie sich die einzelnen Nachkriegsgenerationen in unterschiedlicher Art mit Nationalsozialismus, Krieg und Verfolgung konfrontiert haben. Wobei der Schwerpunkt bei der Betrachtung jener Gruppe liegt, die am NS-System in irgendeiner Weise beteiligt war und die davon profitiert hatte.

Eine breitere Auseinandersetzung mit dieser - vereinfacht so genannten - "Täterseite" gibt es ja erst seit Kürzerem, während die Biografien von Verfolgten und Opfern schon seit den siebziger Jahren aufgezeichnet und erforscht wurden.

Differenziertes Bild der Kriegsgeneration

Die Wiener Zeithistorikerin Margit Reiter hat sich in einer Studie mit der "Generation danach" befasst, ihr gleichnamiges Buch wird in Kürze erscheinen. Sie wendet sich gegen die oft geäußerte und vereinfachende These, dass die Kriegsgeneration nur geschwiegen habe. Durch deren Erzählungen wurde bei der nachfolgenden Generation vielmehr ein Bild mit Leerstellen vermittelt.

Vieles, vor allem die Judenvernichtung, aber auch die Verlockungen des Nationalsozialismus und die erlangten eigenen Vorteile blieben meist ausgeblendet, besonders betont wurde hingegen einzelne Kriegserlebnisse, der Bombenkrieg, der Hunger in der Nachkriegszeit und der Gegensatz zwischen der NS-Elite einerseits und den einfachen Soldaten und der Not leidenden Bevölkerung andererseits.

Unausgesprochene Vereinbarung: Schweigen

Gerhard Botz meint, dass die Gründe für die beklagte Gesprächsverweigerung vieler Angehöriger der Kriegsgeneration auch bei deren Söhnen und Töchtern liegen. In einem sehr persönlichen Aufsatz im Sammelband "Schweigen und Reden einer Generation" beschreibt er, wie er selbst den Hinweisen auf die Geschichte seines 1944 gefallenen Vaters stets ausgewichen ist.

Erst jetzt hat er dessen NSDAP-Parteiakt eingesehen und sich mit seinem Einsatz in der so genannten Partisanenbekämpfung näher befasst. An Hand seiner eigenen Geschichte spricht Botz von einem "Schweigekartell" zwischen den Eltern der Kriegs- und den Kindern der Nachkriegsgeneration. Vielleicht habe damit, so meint er, die Generation der Jugend- und Studentenrevolte zu genau jenem Verschweigen beigetragen, das sie selbst seit den späten 1960er Jahren so lautstark kritisiert hatte. Erst die Enkelgeneration nähere sich dem Thema individueller und differenzierter. Für sie ist die NS-Zeit ist weiter weg, es gibt nicht nur mehr zeitliche, sondern auch emotionale Distanz.

Das Schweigen wird aufgebrochen

Eine derjenigen, die das familiäre Schweigen der vorhergegangen Generationen aufgebrochen hat, ist die Politikwissenschaftlerin Claudia Brunner, die Großnichte von Alois Brunner, der als "rechte Hand" von Adolf Eichmann für den Tod von 130.000 Juden verantwortlich ist. Nach dem Krieg gelang es ihm, unterzutauchen und in Syrien Asyl zu finden.

In seiner Person, so schreibt Claudia Brunner, habe sich das gesamte Grauen jener Zeit zu einem Klumpen verdichtet, der ihr mitunter schwer im Magen liegt. Als 13jährige war sie dem Foto ihres Großonkels auf dem Titelblatt einer deutschen Illustrierten begegnet, und seit damals beschäftigt er sie. Als Studentin hat sie später seine Biografie und die Geschichte seiner Beteiligung an den Judendeportationen aus in Wien, Mähren, Frankreich, Saloniki und der Slowakei erforscht.

In dem mit Uwe von Seltmann gemeinsam herausgegebenem Buch "Schweigen die Täter, reden die Enkel" schreibt Claudia Brunner über ihren Versuch, wissenschaftliches Bemühen und persönliche Betroffenheit zu verbinden. Offen beschreibt sie die emotionale Seite dieser Auseinandersetzung: ihre Vorstellung, ein Erbe von Schuld und Verantwortung zu übernehmen; das Gefühl, in besonderer Mission unterwegs und für irgendeine Art von "Wiedergutmachung" zuständig zu sein; ihren geheimen Wunsch, ein Stückchen Absolution von der Familiengeschichte zu erhalten.

Hör-Tipp
Dimensionen, Mittwoch, 29. März 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-DownloadabonnentInnen können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
Gerhard Botz herausgegebene Sammelband "Schweigen und Reden einer Generation", Mandelbaum-Verlag, ISBN 3854761511

Claudia Brunner und Uwe von Seltmann, "Schweigen die Täter, reden die Enkel", Edition Büchergilde, ISBN 3936428263

Harald Welzer, "Opa war kein Nazi - Nationalsozialismus und Holocaust im Familiengedächtnis", Fischer, ISBN 3596155150