Über Risiken und Chancen in den Krisenherden

Nahöstliche Realitäten

Israel nach Sharon, das Verhältnis Israels zu den Palästinensern, die irritierende Rolle des Iran: Der führende deutsche Nahostexperte Volker Perthes beschreibt viele Facetten eines komplexen Problems und versucht, Risiken und Chancen abzuwägen.

Volker Perthes über die Haltung Europas im Nahost-Konflikt

In seinem neu erschienenen Buch "Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch“ zeichnet der deutsche Nahostexperte Volker Perthes ein Abbild nahöstlicher Realitäten und versucht aus seiner Sicht, die Risiken und Chancen in den einzelnen Krisenherden abzuwägen. Ferdinand Olbort hat mit ihm gesprochen.

Der Wunsch nach strikter Trennung

"Es läuft alles auf zwei strikt getrennte Staaten hinaus", meint Volker Perthes, angesprochen auf den Konflikt zwischen Palästinensern und Israelis: "Es bahnt sich zwar noch keine Lösung an, aber eine wichtige Entscheidung ist gefallen - nämlich die vom bisherigen Ministerpräsidenten Sharon eingeleitete Aufgabe des Gazastreifens und die Abgrenzung des Territoriums durch eine Mauer. Dieser Trennungswunsch, den auch die Mehrheit der Israelis befürwortet, ist auf Ermüdung und Erschöpfung nach Jahrzehnten von Kriegen, von manchmal erfolgreichen, aber viel öfter gescheiterten Verhandlungen und Jahren des Terrors zurückzuführen".

Diese Entwicklungstendenz komme - so der Experte weiter - auch seinem an sich eher farblosen Nachfolger Ehud Olmert zugute, der mit der von Sharon im November gegründeten Kadimapartei gute Chancen habe, nach den am 28. März stattfindenden Parlamentswahlen als Sieger hervorzugehen. Eventuelle Koalitionspartner müssten - das habe Olmert ja bereits angekündigt - auch auf große Teile des Westjordanlandes verzichten. Damit habe er auch klargestellt, dass für ihn nur eine Regierung mit der Arbeiterpartei und den anderen Linksparteien, aber keine mit dem konservativen Likud-Block in Frage komme, betont Perthes.

Die Rolle der Hamas

Wenn man die internationalen Medien verfolgt, scheint dieser Prozess allerdings dadurch erschwert zu werden, dass in den palästinensischen Autonomiegebieten nun die radikal-islamistische Hamas regieren wird. Die Hamas hat ja Selbstmordanschläge gegen Israel nicht nur befürwortet, sondern auch organisiert und lehnt es bisher ab, Israel anzuerkennen. Und Israel wiederum weigert sich bisher, mit der Hamas zu verhandeln.

Volker Perthes ist hier allerdings nicht so pessimistisch. Nach seinen Worten gebe es bereits auf kommunaler Ebene Kontakte zwischen der Hamas und Israel. Künftige Beziehungen seien jedenfalls nicht aussichtslos. Die Hamas sei auch besser organisiert als die bisher regierende Fatah-Partei und daher besser in der Lage, Zusagen oder Verhandlungsergebnisse einzuhalten. Sie sei wahrscheinlich pragmatischer als vielfach angenommen werde, so der Deutsche.

Dass die israelische Regierung mit der Hamas Gespräche führen könnte, dazu passt auch eine Äußerung, die Ministerpräsident Olmert in der Vorwoche in einem TV-Interview gemacht hat. Olmert sagte, Israel könne zwar nicht Jahre warten, er wolle der Hamas aber Zeit geben, die Gewalt gegen Israel einzustellen. Eine ähnlich abwartende Haltung wird vermutlich auch die EU gegenüber der Hamas einnehmen. Sie hat ja bisher den Palästinensern sehr viel Geld zur Verfügung gestellt, um ihnen den Aufbau einer staatlichen Struktur zu ermöglichen.

Der iranische Atomkonflikt

Weniger pessimistisch als andere Experten beurteilt Volker Perthes auch einen anderen Krisenherd im Mittleren Osten - den Atomkonflikt mit dem Iran. Der Deutsche hält dabei eine militärische Intervention, die von den USA ja noch immer nicht ausgeschlossen wird, mehr für eine Drohung, um politischen Druck aufrechtzuerhalten, als für eine tatsächliche Option. Darauf deuten auch Gespräche über die Lage im Irak hin, die Washington Teheran angeboten hat und denen der im Iran für Sicherheitsfragen zuständige geistliche Führer Ayatollah Khamenei zugestimmt hat.

Auch auf iranischer Seite sei man - so Perthes - durchaus an weitergehenden Gesprächen mit den USA interessiert, wobei man die Amerikaner grundsätzlich politisch für weitaus wichtiger halte als zum Beispiel die Europäer. Andererseits gebe es in der iranischen Elite die unterschiedlichsten Strömungen und Meinungen: "Nur in einem ist man sich einig: sich nichts vom Ausland diktieren zu lassen; uneinig ist man sich nur, ob man etwa die Atomkraft ausschließlich zur Energieerzeugung oder auch militärisch nutzen sollte", meint Perthes.

Welche Rolle spielt Mahmoud Ahmadinejad?

Für große Empörung im Westen sorgt auch seit einigen Monaten der im Vorjahr gewählte iranische Präsident Mahmoud Ahmadinejad.
Er hat ja den Holocaust geleugnet und gemeint, Israel solle von der Landkarte verschwinden. Perthes schwächt auch hier ab und glaubt, das seien in unakzeptabler Manier ausgesprochene antijüdische Vorurteile, und keine Drohungen: "Dass Ahmadinejad durch seine Polarisierung und Popularisierung in den ärmeren und ländlichen Gebieten an Einfluss gewonnen hat, ist zwar unumstritten, als Präsident hat er aber keinerlei Kompetenzen, um über die iranische Außen- und Sicherheitspolitik zu entscheiden. Diese liegt beim so genannten Revolutionsführer und beim nationalen Sicherheitsrat. Die Wähler haben ihn auch nicht gewählt, um eine Konfrontation mit dem Westen zu beginnen oder um gegen demokratische Reformen zu stimmen", sagt der Deutsche.

Durch seine Äußerungen habe sich Mahmoud Ahmadinejad jedenfalls als Gesprächspartner für den Westen ohnehin unmöglich gemacht. Außerdem sei er im Gegensatz zu den meisten anderen arabischen Staatsoberhäuptern nur für maximal acht Jahre im Amt, was dennoch eine sehr lange Zeit sei. Daher bedürfe es sowohl auf iranischer, wie auf europäischer und amerikanischer Seite viel an Rationalität, aufkommende Krisen nach Möglichkeit so weit einzudämmen, dass sie nicht eskalieren, denn - so Volker Perthes:"Lösungen sind immer möglich, aber sie sind auch immer nur eine Möglichkeit".

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 28. März 2006, 18:25 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Volker Perthes, "Orientalische Promenaden. Der Nahe und Mittlere Osten im Umbruch", München, Februar 2006, Siedler Verlag, ISBN 3886808203

Link
Wikipedia - Nahostkonflikt