Zeitgenossin Vera Bohle im Gespräch

Humanitäres Minenräumen

"Meine Motivation mit dem Minenräumen anzufangen, entstand, als ich die Kraft für den Wiederaufbau und den Willen zum Frieden bei den Menschen gesehen habe. Das hat mich angesteckt und fasziniert. Es war mein Motor, diesen Beruf zu wählen."

Sie heißen M26, PMA3, PROM 1 oder PPM 2. Es handelt sich um so genannte Anti-Personenminen, hunderttausendfach produziert, vergraben und gut getarnt. In mehr als 80 Staaten liegen bis zu 100 Millionen Minen, die - noch - nicht explodiert sind. Allein in Afghanistan liegen zehn Millionen Stück davon - ein Erbe des zwanzig Jahre dauernden Krieges. Ihre Wirkung ist verheerend. Einige tausend Menschen sterben Jahr für Jahr weltweit an diesen heimtückischen Waffen. Und jährlich werden einige zehntausend Minen neu gelegt. Trotz der so genannten "Ottawa-Konvention", die die Anwendung, Weitergabe, Entwicklung, Herstellung und den Besitz von Anti-Personenminen verbietet und seit dem Jahr 1999 in Kraft ist.

"Einen Fuß zu verlieren, damit könnte ich leben. Erblinden wäre schlimm." Die Frau, die das sagt, ist Minenräumerin. Kannst Du mit einer Behinderung leben, wurde sie von ihrer Mutter gefragt, als diese von der Berufsentscheidung der Tochter erfuhr.

Routine ist der gefährlichste Feind

Hochkonzentriert arbeitet sich Vera Bohle mit großer Sorgfalt und Langsamkeit durch das Minenfeld. Das Risiko ist groß durch eine unvorsichtige Bewegung eine Explosion auszulösen. Vera Bohle hat im Kosovo, in Afghanistan, in Bosnien und Mosambik ihr Leben riskiert. Das, was die junge Frau und ihre Kollegen im Auftrag der UNO machen, wird als "humanitäres Minenräumen" bezeichnet. Menschen, die aus ihrem Ort, ihrer Heimat vertrieben wurden, sollen wieder zurückkehren können. Doch zuerst muss das verminte Gelände wieder frei sein, frei sein von Sprengfallen, Anti-Personen-Minen, Splitterspringminen.

Vera Bohle zählt die Minen nicht, die sie entschärft. Statistiker wollen nämlich errechnet haben, dass bei jeder 1000. Mine ein Unglück geschieht.

Aufgewachsen in Köln, hat Vera Bohle mit 29 Jahren ihren Traumjob Fernsehjournalistin an den Nagel gehängt und in der Sprengschule Dresden Kampfmittelbeseitigung gelernt. Seither ist sie mit unendlicher Sorgfalt im Einsatz. Es ist die Kunst der Langsamkeit, die sie beherrscht. Das höchste Gut in ihrem Beruf. Denn jede Mine ist die erste Mine. Und: nicht die Mine, nicht derjenige, der sie gelegt hat ist der größte Feind. "Die Routine ist mein gefährlichster Feind", sagt die Minenräumerin.

Der Wille zum Frieden als Motivator

Michael Kerbler: Wenn ich mir Ihre fünf, sechs Jahre Arbeit Revue passieren lasse, dann denke ich mir: 'Sisyphus hat hoffen dürfen'. Stellt man sich vor, 100 bis 150 Millionen Minen liegen noch; die günstigste Mine kostet rund drei Euro, eine Mine zu entsorgen kostet ungefähr 1.000 Euro - wo ist das Erfolgserlebnis?
Vera Bohle: Man darf nicht auf die ganze Menge blicken, sonst muss man verzweifeln. Die Erfolgserlebnisse sind eindeutig da - im Kleinen. Zum Beispiel wenn ein kosovo-albanischer Bauer mit seiner Familie das eigene Feld wieder benutzen und dadurch die Familie ernähren kann, dann interessiert es ihn nicht, ob in Kambodscha noch eine Million Minen liegen. Er hat seinen Lebensunterhalt dann wieder dort geschafft. Es ist ein ähnliches Problem wie in Angola, wo eben weite Teile des Landes abgeschnitten sind, weil auf einer Versorgungsstraße einmal eine Mine explodiert ist. Wird diese Straße geräumt, oder im Idealfall geht die Räumung einher mit neuem Straßenbau, dann haben diese Menschen wieder Versorgung. Das sind die Ziele.

Bei diesen absoluten Zahlen sind auch Minenfelder dabei, wie zum Beispiel die Minen entlang der sehr langen russischen Landesgrenzen, die eingezäunt sind, und man weiß, dass da auf absehbare Zeit keine Unfälle passieren werden. Es sind Minenfelder dabei, die in relativ abgelegenen Bergregionen sind, wo im Moment auch niemand hinkommt. Die Entwicklung, die bei der Minenräumung stattfindet, ist eine sozioökonomische Prioritätensetzung. Wo ist es wirklich ganz dringend? Wo sind Menschen unmittelbar betroffen? In diesen Bereichen kann man ganz erstaunliche Erfolge erzielen. Das motiviert mich sehr.

Hör-Tipp
Im Gespräch, Donnerstag, 23. März 2006, 21:01 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Buch-Tipps
Vera Bohle, "Mein Leben als Minenräumerin", Wolfgang Krüger Verlag (gebundene Ausgabe) bzw. Fischer Taschenbuchverlag, ISBN 3810502553 bzw. 359616690x

Victor und Victoria Trimondi, "Krieg der Religionen", Wilhelm Fink Verlag, ISBN 377054188x

Adele Sansone. "Hassan", Rhäthikon Verlag, ISBN 3901607161

CD-Tipp
"Im Gespräch Vol. 7", ORF-CD, erhältlich im ORF Shop

Links
Der Standard
Hilfe zur Selbsthilfe e.V. - Projekte humanitäre Minenräumung
Landmine Monitor
Handicap International
Stop Cluster Munitions
Handicap International