Elke Schmitters literarisches Verwirrspiel
Romanesker Wiedererkennungseffekt
In ihrem viel beachteten Romandebüt "Frau Sartoris" transferiert die Schriftstellerin und Literaturkritikerin Elke Schmitter Madame Bovarys Ehebruchsgeschichte ins 20. Jahrhundert. Nun wird auf der Leipziger Buchmesse ihr dritter Roman vorgestellt.
8. April 2017, 21:58
Elke Schmitters über die WG-Kultur des alten Westberlin
Viele Literaturkritiker schreiben Romane, wenige mit Erfolg. Elke Schmitter, die nach Jahren bei der "TAZ" und der "Zeit" Kulturredakteurin beim "Spiegel" wurde, ist eine Ausnahmeerscheinung.
Soeben ist ihr dritter Roman "Veras Tochter" erschienen, der auf der Leipziger Buchmesse vorgestellt wird.
Heilsamer Schock
"Romane kann man am auch am Abend schreiben", sagt Elke Schmitter, eine entschiedene Anhängerin des Brotberufs.
Vor etwa fünfzehn Jahren war ich in journalistischer Funktion beim Bachmann-Wettbewerb in Klagenfurt. Das war ein heilsamer Schock. Ich hab mir gedacht, wie gut, dass nicht Du selbst da oben sitzt. Also, diese 23-Jährigen zu ermutigen, nichts als eine literarische Karriere einzuschlagen, halte ich für grob fahrlässig. Das mag ein zwei Bücher lang gut gehen - und was dann? Der Literaturbetrieb heute ist einfach zu busy, das halte ich für problematisch, sowohl für die Literatur wie für die Autoren.
Nabokovs Hotelzimmer
Und was, wenn die Schriftstellerin Schmitter so erfolgreich wäre, dass sie die Literaturkritikerin nicht mehr braucht?
Wenn ich extrem erfolgreich wäre, dann würde ich vielleicht wie Nabokow im Hotel leben, müsste keine Putzmittel mehr kaufen und all den Kram. Aber die Aufforderung, sich permanent mit der Welt zu befassen, die ist schon richtig. Ein Leben, in dem man nicht einmal mehr Zeitung lesen muss, ist nicht erstrebenswert.
Wenn ich nicht durch die Außenwelt gefordert wäre, würde ich in eine privatistische Existenz versinken und schließlich wie Proust im Bett enden. Meine Welt würde sich nur mehr nach innen ausdehnen, aber insgesamt kleiner werden. Es ist aber eine große Glückserfahrung, etwas mit anderen Menschen zu tun.
Bovarys Ehegemach
Elke Schmitters im Jahr 2000 erschienener Roman "Frau Sartoris" transferiert die berühmte Ehebruchsgeschichte Madame Bovarys vom 19. ins 20. Jahrhundert. Ihre Heldin endet aber nicht im Suizid, sondern kehrt ihre Aggression nach außen und begeht einen Mord. Das Buch erntete euphorische Kritiken. In ihrem zweiten Buch, "Leichte Verfehlungen", zeichnet Schmitter ein scharfsinniges Sittengemälde der Intellektuellen-Szene Berlins nach der Wende. Der Wiedererkennungseffekt innerhalb der Kollegenschaft war so groß, dass es das Buch eher schwer hatte.
Das hat mich unheimlich verblüfft. Bei meinem ersten Roman habe ich gedacht, den werden Sie mir jetzt alle um die Ohren hauen - und das Gegenteil ist passiert. Bei meinem zweiten Roman war ich guter Dinge, und dann wurde er behandelt, als ob es ein Buch voller geschwätziger Belanglosigkeiten wäre. Ich habe versucht, in der Tradition des englischen Gesellschaftsromans die Befindlichkeit einer bestimmten gesellschaftlichen Klasse in einer konkreten zeitgeschichtlichen Situation darzustellen. Eine privilegierte Gruppe, die sich nach dem Zusammenfall des Ostblocks über den historischen Bruch Gedanken machen müsste. Sie leben aber weiter wie vorher und alles was sich geändert hat, ist, dass der Masseur jetzt aus dem Osten kommt. Es ist ein satirischer Roman, aber ich habe es nicht bösartig gemeint, weil ich ja selbst zu dieser Klasse von Menschen gehöre.
Mutter, Tochter, Mord.
In ihrem aktuellen Roman "Veras Tochter" greift Schmitter die Fäden ihres Erstling wieder auf und läßt die Tochter von Frau Sartoris zu Wort kommen. Vielleicht handelt es sich aber auch nur um eine verrückte Leserin, die Literatur mit Wirklichkeit verwechselt.
Es gab zwei Phänomene, die mich zu diesem Buch inspiriert haben. Zum einen kamen nach Lesungen aus "Frau Sartoris" Frauen zu mir, die mit mehr oder weniger Glaubwürdigkeit und Anmut behauptet haben, ich hätte hier ihre Geschichte erzählt. Zum anderen gab es in Deutschland diese berühmten Prozesse von Exfrauen gegen Autoren, die sich in deren Texten unangemessen porträtiert fühlten. Insgesamt eine peinliche Angelegenheit. Aber ich fand es interessant, einen Roman darüber zu schreiben, was passiert, wenn eine Frau ein Buch liest und denkt: das ist doch mein Leben, über das da verhandelt wird. Dieses Spiel mit realen und fiktiven Möglichkeiten hat mir irre Spaß gemacht.
Hör-Tipps
Tonspuren, Freitag, 17. März 2006, 22:15 Uhr und Sonntag, 19. März 2006, 21:15 Uhr
Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.
Buch-Tipp
Elke Schmitter, "Veras Tochter", Berlin Verlag, ISBN 9783827006424
Veranstaltungs-Tipp
Lesung "Veras Tochter", Einleitung Stefan Gmünder (Der Standard), 23. März 19:30 Uhr, Antiquariat Buch & Wein, Schäffergasse 13a, 1040 Wien.
Links
Berlin Verlag - Veras Tochter
buch und wein