Eine verlängerte Faschingszeit

Diktatoren, Despoten & Tyrannen

"Die Tyrannis kann nur entstehen, wenn ganz besondere gesellschaftliche Bedingungen sie ermöglichen. Denn die Tyrannis kann nicht entstehen, ohne die Zustimmung wenigstens eines Teils des Volkes", so Manès Sperber in seiner "Analyse der Tyrannis".

Der Selbstmord von Milan Babic in Den Haag, einer der Hauptzeugen gegen den damals noch lebenden Slobodan Milosevic, eröffnete in der Vorwoche die Frage nach der Wichtigkeit der Themen in den Staaten Süd-Osteuropas. Der freiwillige Tod von Babic hat, im Gegensatz zu den Erwartungen, nicht so viel Wirbel verursacht und war in den Ländern Ex-Jugoslawiens weder in den Medien noch in der Öffentlichkeit ein "Thema der Woche".

Nur weniger als eine Woche danach wurde in seiner Gefängniszelle nun Slobodan Milosevic, der wichtigste Angeklagte des Haager Kriegsverbrechenstribunals, tot aufgefunden. Sein Tod ist nicht nur in den Ländern des ehemaligen Jugoslawiens zum Thema Nr. 1 geworden. Am vergangenen Samstag, dem Tag seines Todes, hat sogar der berühmte TV-Sender CNN den Rest des Tages - und auch nachts über - seinen Fall den "breaking news" gewidmet und aus allen möglichen Perspektiven betrachtet.

Ein schwer begründbarer Optimismus

Nach dem üblichen Bedürfnis, in allen Geschehnissen etwas Verborgenen zu suchen, gab dieser Tod Anlass für viele "Verschwörungstheorien" mit positiven oder negativen Vorzeichen, jeweils abhängig von deren Ursprung.

Und bis sich die Menschen aus den direkt betroffenen Ländern Süd-Osteuropas damit beschäftigen, um herauszufinden, wer hinter dem Tod des beliebten oder unbeliebten Slobodan Milosevic steht, zeigen die internationalen Medien in Bezug auf seinen Tod einen schwer begründbaren Optimismus. Fast alle sind sich einig, dass mit dem Tod dieses Diktators (so die häufigste Bezeichnung Milosevics bei CNN), Despoten oder Tyrannen nun eine neue Zeitrechnung in Süd-Osteuropa beginnen wird.

Eine falsche Sicht

Internationale Journalisten, Politiker und Diplomaten neigen dazu, zu vergessen, dass die oben genannten Bezeichnungen im Falle von Slobodan Milosevic nicht die zutreffendsten sind:

Er kam mit mehrheitlicher Zustimmung der Wähler an die Macht, und, wie gerade ein bei CNN interviewter bosnischer Serbe aus New York sagte, wurde er nicht wegen seiner politischen Einstellungen entmachtet und verlor in der Folge an Sympathien, sondern wegen der Nicht-Erfüllung seiner Versprechen, der serbischen Nation wieder zurück zu geben, was sie angebliche verdiene.

Ein Faschings-Brauch ...

In der - kürzlich zu Ende gegangenen - Faschingzeit gibt es eine gesellschaftlich "nützliche" Sitte: Am Ende des Karnevals verbrennt man eine Strohpuppe, die während des Faschings von allen Mitbürgern einer Gemeinschaft "geschmückt" wurde. Mit ihrer Verbrennung, so hoffen zumindest die Teilnehmer, würden ihre Sünden und Fehler getilgt. Im alltäglichen Leben bezeichnen wir dies als "Sündenbock" oder "Prügelknaben".

Im Gegensatz zum Sündenbock, dem man die unterstellte Schuld nicht immer beweisen kann, kam für Slobodan Milosevic eine Verantwortung für die tragischen Geschehnisse im ehemaligen Jugoslawien ohne jene Zweifel in Frage. Und man hoffte, dass gerade das Tribunal in Den Haag dies beweisen würde. Und ohne die persönliche Schuld von Slobodan Milosevic kleiner zu machen, bleibt die Frage, wie es überhaupt möglich war, dass er an die Macht kam, noch immer unbeantwortet. War Milosevic tatsächlich ein Tyrann, ein Despot oder Diktator? Und wenn dies der Fall war, werden seine Sünden nun mit ihm auch begraben?

... und eine Antwort Manès Sperbers

Eine mögliche Antwort darauf gibt das im Jänner neu aufgelegte Buch "Zur Analyse der Tyrannis" von Manès Sperber aus dem Jahr 1937. Sperber, selbst Zeitgenosse der zwei größten Tyranneien des 20. Jahrhunderts - des Faschismus und des Stalinismus - , wusste Bescheid, worüber er schrieb, wenn er für "Vorwort und Rückblick" in diesem Buch so formulierte:

Es gibt in jedem Volke Tausende potentieller Hitler und Stalin, doch nur selten gelingt einem von ihnen der Aufstieg zu absoluten Macht, in der er endlich die Erfüllung seines unzähmbaren Wunsches nach Gottähnlichkeit findet. So kommt es auf die politische, soziale und ökonomische Lage an, etwa auf eine von der Mehrheit des Volkers als drückend, ja als erniedrigend empfundene Notlage, die die herrschende Schicht nicht steuern kann oder will, weil sie damit ihre Privilegien oder ihre Machtposition gefährden könnte. Schwankend zwischen fatalistischer Gleichgültigkeit gegenüber allem außer den unausweichlichen Erfordernissen des zermürbenden Alltags einerseits und einem sporadischen, jedoch kraftlosen Aufruhr andererseits, ersehnt das Volk das Kommen eines Retters, der mit einem Schlag alles zum Guten wenden würde. Jene, die Wunder erwarten, statt ihre Lage selber zu bessern, bringen Wundertäter an die Macht, die sich schnell genug in Tyrannen verwandeln.

Ob sich mit dem Tod von Slobodan Milosevic tatsächlich etwas ändern würde, bleibt abzuwarten. Aber den Erfahrungen zufolge wiederholt sich die Faschingszeit immer wieder.

Mehr zum Tod von Slobodan Milosevic in ORF.at und Ö1 Inforadio

Buch-Tipp
Manès Sperber, "Zur Analyse der Tyrannis", Leykam Verlag Graz, Bibliothek Gutenberg, ISBN 3701175497

Links
United Nations - International Criminal Tribunal For The Former Yugoslavia
CNN
Leykam Verlag