Technologie und Tradition in den VAE
Eine Föderation auf Erfolgskurs
In die Medien kommen die Vereinigten Arabischen Emirate meistens wegen hypertroph anmutender Hotelprojekte. Über ihre Bewohner erfährt man nicht viel. Für die wenigen Einheimische ist geradezu fürstlich gesorgt. Die Integration der vielen Fremden ist kein Thema.
8. April 2017, 21:58
Stimmen von Einheimischen und Gastarbeitern
In den Vereinigten Arabischen Emiraten gibt es keine politischen Parteien. Die Macht liegt jeweils bei einem der sieben Scheichs. Es gibt auch keine Wahlen, die Thronfolge ist erblich. Dennoch entwickelte sich aus dieser beduinischer Kultur eine moderne Föderation nach westlichem Wirtschaftsmuster.
Die Gründe für den Wirtschaftsboom
Vor 35 Jahren schlossen sich die sieben Emirate Abu Dhabi, Dubai, Sharjah, Ajman, Umm al-Qaiwain, Ras al-Khaimah und Fujairah zu den VAE - den Vereinigten Arabischen Emiraten - zusammen. Sie sind bis heute die einzige erfolgreiche Föderation der arabischen Welt.
Der Erfolg der Scheichtümer liegt vor allem in den reichen Bodenschätzen begründet. Das Erdöl machte aus dem unwirtlichen Flecken Erde am Persischen Golf eine blühende Zivilisation. Vor allem Abu Dhabi bezieht sein Haupteinkommen durch den Öl- und Gasexport. Die übrigen Emirate setzen auf Handel und Tourismus. Aus Bergen von Sand und inmitten unerträglicher Hitze entstanden breite Highways, vornehme Villen, luxuriöse Hotelanlagen, zollfreie Industriezonen, moderne Flughäfen und Shoppingmalls.
Vom Zivilisationsschock zu eigener Identität
Innerhalb von nur zwei Generationen durchlebten die Emiratis die technologische Entwicklung zweier Jahrhunderte: Während die Großeltern von heute noch nach Perlen tauchten und in Hütten aus Palmzweigen lebten, managen ihre Enkel Immobilienfirmen und wohnen in Palästen mit mindestens drei Hausangestellten: ein zivilisatorischer Schock, der Spuren hinterlassen haben muss.
Welches Verhältnis haben die jungen Leute zu ihrer Vergangenheit, zu arabischen Traditionen und zur islamischen Religion? Stolz tragen sie ihre bodenlangen Gewänder - Männer in blütenreinem Weiß, Frauen in elegantem Schwarz. Inmitten fremdländischer Einflüsse ist das aber weniger eine Frage der Religion als vielmehr Ausdruck der eigenen kulturellen Identität. Denn obwohl die Kultur fast ausschließlich islamisch geprägt ist, sind die alten Lebensweisen der letzten Jahrzehnte bei den Jugendlichen fast zur Gänze verschwunden.
Integration unerwünscht
Der Wirtschaftsboom lockt Gastarbeiter aus aller Welt in die VAE. Inzwischen stellen die Einheimischen nur noch 18 Prozent der Bevölkerung. Pakistanische Bauarbeiter, philippinische Hausmädchen, ägyptische Taxifahrer und britische Finanzexperten verdienen deutlich mehr als in ihren Heimatländern und stören sich deshalb nicht an den offensichtlichen Klassenunterschieden innerhalb der Gesellschaft.
Menschen aus nicht weniger als 150 Nationen leben derzeit in den VAE. Jeder spricht seine Sprache und pflegt seine Traditionen. Integration ist nicht erwünscht, schließlich soll jeder Ausländer irgendwann in seine Heimat zurückkehren. So schützt sich die emiratische Gesellschaft vor Überfremdung und behält ihren beduinischen Charakter.
Großzügige Sozialleistungen
Wer als Ausländer in den VAE arbeiten möchte, braucht einen lokalen Sponsor, den er bezahlen muss. Auf diese Weise profitiert die einheimische Bevölkerung vom Ölreichtum, von ausländischen Geschäften und Investitionen. Als Minderheit im eigenen Land genießen die Einheimischen - überwiegend Sunniten und Schiiten - zahlreiche Privilegien durch den Staat:
Jeder Bürger - ob Frau oder Mann - hat das Recht auf ein Stück Land, Gesundheitsversorgung und Ausbildung sind gratis. Es gibt gemischte und getrennt-geschlechtliche Universitäten; in vielen von ihnen überwiegen mittlerweile die weiblichen Studierenden. Frauen fahren in den Emiraten Auto und arbeiten - und werden sogar Ministerinnen.
"Good governance" ein Erfolgsrezept?
Der Fortschritt in den jeweiligen Emiraten ist jedenfalls rein aus beduinischer Kultur entstanden, was für westliche Beobachter als Kuriosität gelten mag, denn in Europa werden gemeinhin Stammeskulturen als rückständig und entwicklungshemmend betrachtet.
So werden bis heute die VAE von den führenden Familienclans der sieben Emirate regiert. Minister werden ernannt, nicht gewählt. Demokratie nach westlichem Vorbild fordert niemand, weil die Scheichs das tun, was die Menschen von ihnen erwarten: "Good governance von oben, statt Interessenvertretung von unten - ein Erfolgsrezept auch für die Zukunft?
Hör-Tipp
Journal-Panorama, Dienstag, 14. März 2006, 18:25 Uhr
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Link
Wikipedia - Vereinigte Arabische Emirate