Stille hält Italiens Narziss den Spiegel vor
Citizen Berlusconi
Einen heftigen Schlagabtausch lieferten einander Silvio Berlusconi und sein Herausforderer Romano Prodi beim ersten TV-Duell vor der Wahlen. Ein neues Buch untersucht die undemokratische Fusion von Unterhaltung, Sport, Fernsehen und Politik des "Citizen Berlusconi".
8. April 2017, 21:58
Am meisten faszinierte er mich psychologisch. Ich habe noch nie jemanden getroffen, der mir in so kurzer Zeit so viele Lügen erzählt hat. Aber - und das ist das Wichtige: Er erzählte sie mit voller Überzeugung.
In der Erfahrung des Berlusconi-Biografen Alexander Stille hält kein Politiker es mit der Wahrheit genau. Das ist den meisten auch selbst bewusst. Doch wenn Silvio Berlusconi dem Autor im legeren Jogginganzug und Kaschmirpullover gegenübersitzt und ihm sagt: "Ich bin der fleischgewordene Traum Italiens, dann meint er das auch so.
Er wirkt wie ein Narziss mit einem Hang zum Größenwahn. Er redet von sich in der dritten Person: Berlusconi tut dies, Berlusconi tut das. Er hält sich für großartig. Er hängt der narzisstischen Fantasie an, dass sich die Welt um ihn dreht. Und er hat sich in Italien tatsächlich eine Welt geschaffen, die sich um ihn dreht. Das bedeutet: Vielleicht sind WIR die Verrückten, und ER hat den klarsten Kopf, den man haben kann.
Selbstvervollkommnungskultur als Staatsrezept
Die von Alexander Stille beschriebenen zweifelhaften bis höchst illegalen Praktiken, seien sie geschäftlich oder politisch, sind an sich nicht neu. Doch so konzentriert dargestellt ergibt sich daraus das faszinierende Bild eines Mannes mit zutiefst undemokratischen Instinkten. Der Aufstieg, den Alexander Stille in "Citizen Berlusconi" nachvollzieht, ist von zwei Dingen geprägt: von unbändigem Selbstvertrauen und von dunklen Geschäften. Für ersteres nimmt er Anleihen in den USA:
Seine tiefsten Überzeugungen entspringen, so scheint es, solchen Evangelien amerikanischer Selbstvervollkommnungskultur wie Dale Carnegies "Wie man Freunde gewinnt" und Norman Vincent Peales "Die Macht des positiven Denkens". Im Zuge eines Schulungskurses für die Verkäufer seiner Werbefirma erklärte er den Teilnehmern, er stelle sich jeden Morgen vor den Spiegel und sage mehrmals: "Ich mag mich. Ich mag mich."
Mit Charme, Schmäh und Sportlichkeit
Silvio Berlusconi amerikanisierte auch die italienische Medienlandschaft, insbesondere den Stil und die Inhalte des Fernsehens. Er stellte sich erstmals 1994 zur Wahl. Seine Partei nannte er griffig, nach einem Fußballschlachtruf, "Forza Italia". Wie der typische Populist hatte er wenig Programm, doch dafür umso mehr Charme und Schmäh zu bieten. Als Eigner des Fußballclubs AC-Milan vermittelte er dem Durchschnittsbürger Anpackungsvermögen und Siegermentalität. Auch zögerte er nicht, politischen Herausforderern mit dem Hinweis auf die von seinem Club gewonnenen Meisterschaften das Wort abzuschneiden und ihnen ökonomische Praxisunerfahrenheit zu unterstellen.
Mediale Gebetsmühle
Dass Silvio Berlusconi bisher kein Korruptions- und Mafiaskandal etwas anhaben konnte, zeigt, wie vorteilhaft es ist, die drei größten TV-Privatsender zu besitzen. Damit kontrolliert Berlusconi fast die Hälfte des Fernsehpublikums, sowie 60 Prozent des italienischen Werbebudgets. Als Politiker hat er zudem längst auch die staatliche RAI unter seine Kontrolle gebracht. Politische Gegner ließ Berlusconi über seine Medien ausschalten. Die bewährte Strategie dabei: Wenn man jemanden lange genug mit Dreck bewirft, wird schon etwas an ihm hängen bleiben. Über die Verdachtsmomente und Anschuldigungen gegen Berlusconi erfuhren die italienischen Bürger hingegen kaum etwas. So hatte selbst die Verurteilung seines Wahlkampfleiters wegen Erpressung und Kooperation mit der Mafia keinerlei Folgen für Berlusconi.
Wendung im Polit-Krimi?
Auch von Berlusconis Fehltritten auf dem internationalen Parkett erfahren die Italiener wenig. Die Machtkonzentration von Politik, Wirtschaft und Massenmedien wäre eigentlich ein Fall zum Einschreiten für die EU, meint Alexander Stille. Das Land sei auf dem Weg zu einer Pseudodemokratie wie Russland. Zwar werde alle paar Jahre gewählt, doch die Meinungsbildung sei eingeschränkt. In den ersten Jännerwochen 2006 etwa trat der Ministerpräsident mehr als zwölf Stunden im Fernsehen auf. Sein Herausforderer bei der Wahl im April, Romano Prodi, brachte es im selben Zeitraum auf nur 25 Minuten. Doch selbst wenn Berlusconi unterliege, so der Autor, habe er bei bestehender Gesetzeslage keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten.
Er veränderte die Gesetze gegen Wirtschaftsbetrug und reduzierte etliche Verjährungsfristen für Verbrechen, für die man ihn und seine Mitarbeiter verdächtigte. Aber: Zwei seiner engen Mitarbeiter werden möglicherweise zu Haftstrafen verurteilt. Und wenn diese reden sollten, dann werden wir sehr viel über Berlusconi erfahren.
Mehr zum ersten TV-Duell der Italien-Wahl in ORF.at
Hör-Tipp
Kontext, jeden Freitag, 9:05 Uhr
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Buch-Tipp
Alexander Stille, Citizen Berlusconi, aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber, C. H. Beck Verlag, ISBN 3406529550
Link
C. H. Beck Verlag - Citizen Berlusconi