Über Ursachen und Perspektiven im Nahost-Konflikt
Der Streit um das gelobte Land
Politisch nur vordergründig ein Problem wird der Nahostkonflikt grundsätzlich von fundamentalistisch-religiösen Überzeugungen gespeist. Das Verhalten des Westens in diesem Streit ist für die islamische Welt ein Gradmesser der Glaubwürdigkeit ihrer Ideale.
8. April 2017, 21:58
Der Politologe John Bunzl über den US-Einfluss
Der Nahostkonflikt hat eine langjährige Geschichte, die mindestens bis 1948 - zur Staatsgründung Israels - zurückreicht und bis heute zentraler Zankapfel zwischen westlicher und muslimischer Welt ist, auch wenn hier wie dort sehr unterschiedliche Positionen feststellbar sind. Die jüngsten Entwicklungen sind jedoch Besorgnis erregend.
Religiöse Fragen gewinnen an Bedeutung
"Ursprünglich geht es in diesem Konflikt nicht um Religion", sagt der Politologe John Bunzl, Nahost-Experte am Österreichischen Institut für Internationale Politik: "Im Kern handelt es sich dabei um den Konflikt zwischen einer 'europäischen' Ansiedlung in Palästina und dem Widerstand der einheimischen Araber. Auffällig sei aber, dass - beginnend vor etwa 20 Jahren - religiöse Überzeugungen und Rhetorik eine immer größere Rolle spielen. Deutlich werde das durch den Wahlsieg der Hamas nicht nur auf palästinensischer Seite, sondern auch auf der jüdischen Seite.
Theodor Herzl, seine zionistische Bewegung und die Gründungsväter Israels waren größtenteils erklärte Atheisten. Die zionistische Idee, den Nationsbegriff auf die Juden anzuwenden, führte schon in den Anfängen zu einem großen innerjüdischen Streit. Denn die jüdische Tradition kannte keine nationale Identität, sondern definierte sich ursprünglich als eine religiöse Gemeinschaft, deren Selbstverständnis durch einen Bund Gottes mit dem Volk Israel und der Einhaltung von religiösen Geboten gekennzeichnet war.
"Doch es gab auch religiöse Zionisten, sagt der Wiener Oberrabbiner Paul Chaim Eisenberg: "Diese sahen ihre Rückkehr ins heilige Land auch im Zusammenhang mit der Vergangenheit des jüdischen Volkes, mit einer Verheißung, dass man wieder zurückkehren wird und mit der Idee, religiöse Ideale zu erfüllen.
Uri Avneri zu den Konflikt-Motiven
Der wohl bekannteste Friedensaktivist Israels und Träger des Alternativen Nobelpreises, Uri Avneri, schreibt in seinem jüngsten Weblog, dass die palästinensische Gesellschaft eine vergleichsweise wenig religiöse ist. Yasser Arafat, Mahmoud Abbas und die Fatah hätten säkulare Ideen gehabt. Doch seien sie politisch gescheitert. Die Gründe weshalb sie bei den letzten Wahlen von der islamistischen Hamas abgelöst wurden, seien ebenfalls nicht religiöse, sondern politische: kaum herzeigbare Erfolge, Weiterführung israelischer Siedlungsaktivitäten in der Westbank, der Bau der Mauer, aber auch innerpalästinensiche Probleme, wie Korruption und Ineffizienz der palästinensichen Autonomiebehöre.
Erst in den letzen 20 Jahren habe sich die Religion in diesen an sich politischen Konflikt eingeschlichen, und nun werde er mehr und mehr von religiösen Motiven bestimmt. Besonders ärgert er sich über den massiven politischen Einfluss der geschätzten 80 Millionen christlichen Fundamentalisten in den USA auf die Politik der gegenwärtigen US-Regierung: "Diese unterstützen nicht Israel, sondern die radikalsten Elemente in unserer Gesellschaft; kritisiert Avneri. "Für die sind wir von der Friedensbewegung alle Verräter. Diese Art von Religion ist friedensfeindlich von Natur aus.
Den Bund Gottes neu suchen
Analysen wie diese teilt auch der jüdische Theologe Marc Ellis. Der In den USA lehrende Ellis gilt als Begründer der jüdischen Befreiungstheologie. Sein Denken ist für manche Juden nicht gerade populär. Denn Ellis ist ein Jude, der daran glaubt, dass der Bund Gottes mit Ungerechtigkeit unvereinbar ist und in jeder Generation neu gesucht werden muss:
"Wir waren die ersten Adressaten dieses Bundes. Der Bund Gottes kennzeichnet mein Judentum. Dieser Bund ist jetzt nicht mit uns als Volk, wenn wir andere Menschen unterdrücken." Ellis verdeutlicht seine Gedanken, wenn er sagt, dass auch die Christen außerhalb des Bundes Gottes standen, als sie Juden verfolgten. Aus seiner Perspektive heißt das: "Die einzige Möglichkeit, heute jüdisch zu sein, ist: in Solidarität mit den Palästinensern leben. Dass man davon aber weit entfernt ist, beweist die derzeitige Enteignungs- und Besiedlungspolitik Israels.
Die religiösen Pflichten von Gush Emonim
Als der mittlerweile schwer erkrankte Ministerpräsident Ariel Sharon im Sommer 2005 den Gazastreifen räumen ließ, mussten 8.500 jüdische Siedler Gaza verlassen. Dennoch zogen 14.000 Juden im selben Jahr unbeachtet von der Öffentlichkeit in die Westbank. Derzeit entstehen in Israels Westbank-Kolonien rund 4.000 neue Wohnhäuser.
Speerspitze dieser Aktivitäten in der Westbank ist die radikale religiöse jüdische Siedlerbewegung "Gush Emonim. Für sie ist es eine religiöse Pflicht, "Erez Israel zu besiedeln, und zwar in den biblischen Grenzen. Die meisten in der Bibel genannten religiösen Kult- und Pilgerstätten, die für Juden bedeutsam sind, liegen ja bekanntlich nicht in Israel, sondern in der palästinensischen Westbank. Die radikal-religiösen jüdischen Siedlergrupen denken jedenfalls nicht daran, ihre auf besetztem palästinensichen Territorium errichteten Siedlungen aufzugeben.
Aussichtslose Lage?
Der Friedensprozess scheint momentan jedenfalls völlig zum Stillstand gekommen zu sein. Zwei Wochen vor der richtungsentscheidenden Wahl in Israel ist die von Interims-Premier Ehud Olmert angeführte Kadima-Partei in der Siedlungsfrage zerstritten. Im Gegensatz zu Olmert hat sich Ex-Premier Shimon Peres, der ehemalige Vorsitzende der Arbeiterpartei, gegen einseitige Schritte bei der Grenzziehung ausgesprochen. Vielmehr müsse man Verhandlungen mit den Palästinesern auf der Grundlage der "Roadmap" - des internationalen Friedensfahrplanes - suchen.
Der ehemalige Chef des Inlandsgeheimdienstes, Avi Dichter, bezeichnet die "Roadmap" hingegen bereits als "obsolet". Ebenso Hamas-Führer Khaled Mashaal. Er meinte zuletzt, Israel selbst habe die "Roeadmap" gestoppt, nachdem Premier Olmert unilaterale Maßnahmen in Aussicht gestellt und damit die Annexion der großen Siedlungsblöcke im Westjordanland und von Teilen des Jordantales gemeint hatte. Das wird den radikalen Kräften unter den Palästinensern wieder Auftrieb geben. Vermutlich werden bald wieder Selbstmordattentäter die israelische Gesellschaft in Angst und Schrecken versetzen.
Hör-Tipp
Logos, Samstag, 11. März 2006, 19:05 Uhr
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