Auf den Spuren der Maler

Der Nötscher Kreis

Als "Verrückte" wurden sie von den Einheimischen abgestempelt, jene Künstler, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im kleinen Ort Nötsch werkten. Heute gehören die Künstler des "Nötscher Kreises" zum Kanon der österreichischen Kunstgeschichte.

Traurig sieht sie aus, die Madonna. Ihr gesenkter Blick ruht auf dem Kind auf ihrem Schoß, dessen überdimensionierter nackter Körper ihr bereits zu entgleiten droht. Ganz in der Tradition der europäischen Kunstgeschichte ist die Madonna in ein blaues Gewand gehüllt. Flankiert wird sie von vier Engeln mit bunt gezackten Flügeln. Die Engel waren ursprünglich nackt, doch nachdem die Bauern ihre Scham mit Mist von den Feldern beschmiert hatten, verhüllte sie der Maler des Freskos.

Das Fresko blättert und bröckelt vor sich hin, über dem Grab der Familie Michor an der Südwand der Kirche im Nötscher Ortsteil Saak. Gemalt wurde es von Anton Kolig, dessen Freskenzyklus für das Kärntner Landhaus in Klagenfurt unter dem Verdikt "entartet" abgeschlagen und dessen Fresken im Salzburger Festspielhaus im zweiten Weltkrieg durch Bombenangriffe zerstört wurden. Doch wie kommt es, dass das einzig erhaltene Fresko von Anton Kolig gerade im kleinen Kärntner Nest Nötsch zu sehen ist? Anton Kolig fand in Nötsch eine Art künstlerischer und persönlicher Heimat, obwohl er den Dorfbewohnern eher griesgrämig entgegen trat und sich in seinen Briefen abfällig über die "primitiven Eingeborenen", von denen seine Malerei abhänge, äußerte.

Dass Nötsch am Fuße des Dobratsch idyllisch gelegen liegt, ist unbestritten. Alljährlich trifft sich hier eine Segelflieger-Community, um durch das Gailtal und die angrenzenden Täler zu gleiten. Beim richtigen Wind. Der nicht immer kommen will. Und so warten die Segelflieger mitunter unverrichteter Flüge tagelang im Tal.

Den 1886 in Mähren geborenen Anton Kolig verschlug es durch den Kommilitonen Franz Wiegele, den er beim Studium an der Akademie der Bildenden Künste in Wien kennen lernte, nach Nötsch. Anton Kolig heiratete Wiegeles Schwester Katharina. 1928 bis 1943 war Anton Kolig Professor an der Akademie für bildende Künste in Stuttgart.

Mit seinen Schülern unternahm Anton Kolig in den Sommerferien für einige Wochen Exkursionen nach Nötsch, wo der Künstlernachwuchs bei den Familien im Ortes zum sagenhaft günstigen Preis von einem Schilling pro Bett und Nacht Unterkunft fand. Mit den Schülerinnen und Schülern erkundete Anton Kolig die Landschaft der Umgebung.

Die Künstler malten, badeten nackt in der Gail und veranstalteten Umzüge und Feste. Einer der Stuttgarter Schüler, Anton Mahringer, ließ sich mit seiner Frau Regina Peschges in der Nähe von Nötsch nieder. Wie Kolig zählt auch er zu den Malern des "Nötscher Kreises".

Anton Koligs letztes Atelier stellte der Volksschuldirektor bereit. Er überließ dem Maler ein Klassenzimmer. In den Raum im ersten Stock musste Kolig, der bei einem Bombenangriff auf Nötsch schwer verletzt worden war, an manchen Tagen getragen werden. Heute sind im Klassenzimmer Fotos vom Nötscher Kreis zu sehen und Koligs Staffelei und Sessel. Das Grab von Anton Kolig und seiner Nötscher Frau Katharina ist am Friedhof von Saak, wenige Schritte von seinem Fresko entfernt.

Hör-Tipp
Ambiente, Sonntag, 12. März 2006, 10:06 Uhr

Download-Tipp
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Link
Museum des Nötscher Kreises