Eine Eigenschaft mit schlechtem Ruf

Der Neid

Seit der Antike gilt der Neid als verdammenswerte menschliche Triebkraft. Der Neid frisst die Seele auf, er vergiftet das Individuum. Der Neid ist ständig präsent, weil sich der Mensch über das Glück anderer ärgert. Eine kleine Kulturgeschichte.

Keine menschliche Erscheinungsweise wird vom Neid verschont. Körperliche Schönheit, ein makellos durchtrainierter Körper, tadellose Manieren sind Objekte des Neides. Aber auch materielle Güter wie eine elegante Villa, ein teures Auto oder Markenkleidung von Spitzendesignern erregen den Neid.

Auch die Götter kennen den Neid

Der Neid ist nicht nur eine universelle Eigenschaft der Menschen - so der in Siegen lehrende Philosoph Friedhelm Decher. Er charakterisiert auch das Verhalten der griechischen Götter. Sie unterstützen zwar die Menschen und verhelfen ihnen zu Kulturleistungen wie Sprache, Recht und Tugend, andererseits sind sie neidisch, wenn sie erleben, dass sich ein menschliches Wesen als etwas Göttliches dünkt.

Diese Haltung gegenüber dem Neid erfährt von Seiten griechischer Philosophen eine weitgehende Ablehnung: Sie sehen im Neid keineswegs eine Eigenschaft, die im gesellschaftlichen Leben eingesetzt werden sollte. In seiner Schrift über die Gesetze betont Platon, dass es in den mythischen Urgesellschaften keinen Platz für Neid gab.

Er beschreibt diese Gesellschaften als kleine Gruppen, in denen keine nennenswerten sozialen Unterschiede bei annähernd gleicher Güterverteilung existierten. Die Menschen lebten harmonisch miteinander; Neid und Missgunst waren unbekannt. Der Sündenfall ereignete sich, als die Menschen begannen, sich zu vergleichen.

Neidfreiheit als Ideal

Die Idee des Besseren verdarb zwar den Umgang der Menschen miteinander, war aber bereits der Antriebsmotor der soziokulturellen Blüte Griechenlands: Auf der Suche nach einem guten, gerechten Leben verurteilen Sokrates, Platon und Aristoteles den Neid, der ja ein solches Leben beeinträchtigen würde. Sie sehen die Neidfreiheit als ein Ideal an, das es zu erstreben gilt.

Der Neid im Christentum

Der Neid begleitet seit Luzifers tiefem Fall die Geschichte des Christentums. Abschreckend genug ist die Geschichte von Abel und Kain, in der Neid - verbunden mit Eifersucht - Kain dazu bewegt, seinen Bruder Abel auf dem Feld zu erschlagen. Er wird deswegen schließlich von Gott verfolgt. Die vergiftende Wirkung des Neides wird als eine Todsünde bezeichnet, die es unbedingt zu vermeiden gilt.

Die Philosophie und der Neid

Auch Thomas von Aquin verurteilte den Neid, weil er den Keim der Zwietracht in die menschliche Gemeinschaft bringt und den christlichen Tugenden wie Liebe und Mitleid entgegenwirkt. Der gute Christ - auf der Suche nach einem gottgefälligen Leben - darf genauso wenig neidisch sein, wie Platons guter und gerechter Mensch.

Auch für Immanuel Kant bedeutet der Neid einen wesentlichen Störfaktor für seine ethische Konzeption des Kategorischen Imperativs, wie er ihn in der Schrift "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten" formuliert hatte: "Handle nur nach derjenigen Maxime", heißt es da, "durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde!"

Riss im Sein des Frühkindes

In der Psychoanalyse wird der Neid als entscheidender Riss im Sein des Frühkindes interpretiert. Die in Zürich lehrende Psychoanalytikerin Verena Kast führt den, für die Entwicklung des Kleinkindes wesentlichen, Riss im Sein auf das Drama der Elternbeziehung zurück: Aus ihrer analytischen Arbeit weiß sie, dass die Neidbereitschaft das Ergebnis von Erfahrungen ist, die der Mensch im frühkindlichen Alter gemacht hat.

Neidbereite Menschen haben ein "falsches Selbst" entwickelt. Diese Menschen erleben das Gefühl, dass sie von den Eltern nur anerkannt werden, wenn sie ihren Ansprüchen perfekt genügen.

Der Philosoph Friedhelm Decher empfiehlt ein Mittel gegen den Neid, das bereits in der antiken Philosophie formuliert wurde: Es ist dies die Gelassenheit, die den heftigen Neidgefühlen Einhalt gebietet.

Hör-Tipp
Salzburger Nachtstudio, Mittwoch, 8. März 2006, 21:01 Uhr

Download-Tipp
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Buch-Tipp
Friedhelm Decher, "Das gelbe Monster. Neid als philosophisches Problem", Verlag zu Klampen, ISBN: 393492073