Auf den Spuren der Exilkabarettistin Erika Mann
Das Pfeffermühlen-Kabarett
29 Tage vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler gründete die Tochter von Thomas Mann, Erika, gemeinsam mit ihrem Bruder Klaus in München das legendäre "Pfeffermühlen"-Kabarett. Nach nur wenigen Wochen musste das Ensemble ins Ausland emigrieren.
8. April 2017, 21:58
Willkommen, bienvenue, welcome in der Pfeffermühle
"Die Pfeffermühle" - so nannte sich jenes legendäre politische Kabarettlokal, das 29 Tage vor Hitlers Ernennung zum Reichskanzler erstmals in der Münchener Bonbonnière ihre Pforten öffnete. Die Gründer waren Erika und Klaus Mann, die Kinder des deutschen Schriftstellers Thomas Mann. Nur wenige Wochen nach der Gründung musste allerdings der Spielbetrieb wieder eingestellt werden. Das Ensemble emigrierte und tourte erfolgreich durch Europa.
Der Gründungstag
1. Januar 1933: der Gründungstag des Ensemblekabaretts. Der Musiker Magnus Henning, die Schauspielerin Therese Giehse sowie Erika und Klaus - die "schlimmen, instinktlosen Kinder", wie Thomas Mann seine beiden ältesten nennt - präsentieren ihre satirischen Aufschreie gegen den verhängnisvollen Zeitgeist in Adolf Gondrells Lokal Bonbonnière am Platzl - dort, wo schon Frank Wedekind aufgetreten war:
"Am 30.Januar wurde Hitler Reichskanzler, und als er, nebenan im Hofbräuhaus, seine Antrittsrede hielt, hatten wir schon ein neues Programm. Wir spielten gegen ihn an - Wand and Wand mit ihm und unter dem Jubel seiner Untertanen", sagte später die 1969 verstorbene Schauspielerin und Schriftstellerin Erika Mann. Sie fungierte als Direktorin, Darstellerin und Hauptautorin. Sie prägte den Stil und machte die Conference. Therese Giehse, prominente Kammerschauspielerin in München, war eine der Hauptstützen des Ensembles. Erikas Bruder Klaus lieferte die Textbeiträge.
Das erste deutsche Exil-Kabarett
Schon einen Monat nach der Gründung musste die Kabarett-Gruppe in die Schweiz fliehen. Die offizielle Ausbürgerung Erika Manns aus Deutschland erfolgte 1935. Ein Jahr später heiratete sie den englischen Lyriker Wystan H. Auden, um die britische Staatsbürgerschaft zu erhalten. Nach siebenmonatiger Unterbrechung eröffnete sie am 1. Oktober 1933 im Zürcher Gastof Hirschen - einer Mischung aus Stundenhotel und Bierlokal - das erste deutsche Exil-Kabarett.
Die Zürcher Pfeffermühle war programmatisch radikaler und politisch aggressiver als in München. Freilich mussten auch hier die Attacken gegen die braune Gefahr umschrieben, verfremdet, in die Form von Parabeln und Fabeln gekleidet werden. Keine der Nazigrößen durfte direkt beim Namen genannt werden. Und trotzdem kam es bald zu wütenden Angriffen. Die Schweizer Faschisten - die so genannten "Frontisten" - inszenierten im November 1934 einen Krawall; es flogen Stinkbomben, und es kam zu gewalttätigen Auseinandersetzungen:
"Wir versuchen doch nur in der leichten Form, die wir uns gewählt haben, die schweren Dinge zu sagen, die heute gesagt werden müssen, - und wir hätten allen Grund, uns zu schämen, wollten wir jemals damit aufhören, wehrte sich damals Erika Mann. Doch vergeblich. Das Ende war vorprogrammiert.
Die Lex Pfeffermühle
Die Schweizer Behörden verabschiedeten 1936 eine "Lex Pfeffermühle, die es Ausländern verbot, sich öffentlich zu politischen Fragen zu äußern. Damit hatten die mutigen Kabarettisten um Erika Mann zumindest im Kanton Zürich Auftrittsverbot.
In dieser Zeit ging die Pfeffermühle in mehreren europäischen Ländern auf Tournee. Das Kabarett brachte es innerhalb von drei Jahren in sieben Ländern auf mehr als 1.000 Vorstellungen. Aus Holland schrieb etwa Joseph Roth an Erika Mann, sie habe mit ihrem Programm zehn Mal mehr gegen die Barbarei getan als alle Schriftsteller zusammen.
Als "Peppermill" versuchte das Ensemble später in den USA Fuß zu fassen und das zeitkritische Programm aus Europa einem amerikanischen Publikum schmackhaft zu machen. Das scheiterte allerdings nicht nur am anfänglich schlechten Englisch der Giehse und der Mann, sondern an der fehlenden Tradition des literarisch-politischen Kabaretts in Amerika.
Man muss bescheiden sein
Erika Mann, die heute 100 Jahre alt wäre, ist mit all dem ausgestattet gewesen, was man zum Leben braucht - begabt mit vielen Talenten. Im Spannungsfeld von Eigenständigkeit und dem Tragen des großen Namens war sie nicht nur selbstständig und intelligent, sondern konnte auch charmant, streitlustig und energisch sein. Und sie war erfolgreich:
"Man muss bescheiden sein. Jeder kämpfe mit seiner Waffe, die ihm zur Verfügung gestellt worden ist. Wir haben kein 'Ministerium für Volksaufklärung'. Wir haben nichts als unsere eigene Stimme und Person. Wenn das glaubwürdig wirkt auf die Menschen, wenn täglich nur einige Wenige nachdenklich werden und sich besinnen in all den vielen Städten, die wir bereisen, dann wären wir glücklich, ein winziges Teilchen zum Sieg der Besinnung und der Vernunft in Europa beigetragen zu haben", sagte sie.
Nach dem Zweiten Weltkrieg und dem Freitod ihres Bruders Klaus 1949 intensivierte sich die Beziehung zu ihrem Vater. Ab 1952 - dem Zeitpunkt der Verlegung des familiären Wohnsitzes von den USA in die Schweiz im Zuge der McCarthy-Hatz - stellte sie sich ganz in den Dienst des väterlichen Werks. Am 27. August 1969 starb Erika Mann in Zürich.
Auf den Spuren von Erika Mann
Der Musiker Axel Goretzki und der Chansonnier Martin Heim wandelten jüngst auf den Spuren dieses legendären Exil-Kabaretts. Die beiden haben zusammen mit dem Orchester Odeon Central eine CD herausgebracht, die in der Edition Berliner Musenkinder erschien.
Das Ergebnis: ein Chansonprogramm, das einen hörenswerten Einblick in ein überaus interessantes Kapitel der Kabarettgeschichte von damals gibt und in dem nur wenige Titel nicht aus der Feder der Prinzipalin Erika Mann stammen. Ausschnitte daraus sind in den "Spielräumen Spezial" zu hören.
Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 5. März 2006, 17:10 Uhr
Mehr dazu in Ö1 Programm
Buch-Tipp
Ute Kröger, "Wie ich leben soll, weiß ich noch nicht", Limmat-Verlag, ISBN 385791484X
Links
Wikipedia - Die Pfeffermühle
Edition Berliner Musenkinder