Freier Zugang zu Wissen

Wikipedia

30 Bände mit insgesamt 24.500 Seiten umfasst die aktuelle 21. Auflage der Brockhaus-Enzyklopädie. 2.464 Euro kosten sie, die digitale Ausgabe kommt auf 1.550 Euro. Völlig gratis hingegen ist enzyklopädisches Wissen seit sechs Jahren im Internet.

Die freie Online-Enzyklopädie Wikipedia umfasst in ihrer englischen Ausgabe mehr als 900.000 Artikel, einer Studie der Zeitschrift "Nature" zufolge soll die Qualität der naturwissenschaftlichen Einträge durchaus vergleichbar sein mit jener der kostenpflichtigen Encyclopedia Britannica. Seit dem März 2001 gibt es auch eine deutschsprachige Ausgabe des kollaborativ erstellten Online-Lexikons mit bereits 362.000 Einträgen.

Einen Mausklick entfernt

Sie müssen gar nicht über einen Internet-Zugang verfügen, um mit Wikipedia-Inhalten konfrontiert zu werden. Zig Journalisten in Print, Funk und TV arbeiten mit dem Wikipedia-Lexikon. Schließlich sitzen alle vor einem Computer und die Antwort ist nur einen Mausklick entfernt. Wikipedia bietet, von der Bequemlichkeit abgesehen, noch einen weiteren Vorteil: Ihre Inhalte sind frei.

Aber nicht nur das. Jeder Internet-User kann jederzeit jeden Artikel verändern. So wie beim freien Betriebssystem Linux Tausende Experten und Enthusiasten gemeinsam an der Verbesserung der Software arbeiten, so ergänzen und verbessern bei der Wikipedia Abertausende Freiwillige die Inhalte.

Es begann im März 2000

Man schrieb den März des Jahres 2000, als der Internet-Unternehmer Jimmy Wales sich daran machte, die schon seit einigen Jahren im Netz diskutierte Idee einer Internet-Enzyklopädie umzusetzen. Er engagierte den Philosophiedozenten Larry Sanger und rief mit ihm als Chefredakteur die Nupedia ins Leben. Der Redaktionsprozess des Projekts lehnte sich stark an den konventioneller Enzyklopädien an. Autoren mussten sich bewerben und ihre Texte anschließend einen langwierigen Bewertungsprozess durchlaufen. Entsprechend langsam entwickelte sich das Projekt.

Ende 2000/Anfang 2001 wurden sowohl Wales als auch Sanger auf das Wiki-Prinzip aufmerksam gemacht. Wiki, der Name leitet sich vom hawaiischen Wort für "schnell" ab, ist eine neuartige Software, bei der jeder Benutzer ohne Anmeldung Autor werden, Beiträge schreiben und bestehende Texte ändern kann. Das Prinzip basiert auf der Annahme, dass sich die Benutzer gegenseitig kontrollieren und korrigieren. Jeder Veränderungsprozess ist auch nachverfolgbar. Mit der Wiki-Software war das ideale Werkzeug gefunden, um das an sich größenwahnsinnige Projekt, das gesamte Wissen der Menschen zu sammeln, auch zügig umzusetzen.

Am 15. Jänner 2001 ging die englischsprachige Website wikipedia.com online, nur zwei Monate später kündigte Jimmy Wales an, Versionen auch in anderen Sprachen einzurichten. Ende des Jahres existierte Wikipedia bereits in 18 verschiedenen Sprachen, heute sind es mehr als 100.

Erste Negativ-Schlagzeilen

Im Herbst des vergangenen Jahres sah sich die Wikipedia erstmals mit Negativ-Schlagzeilen konfrontiert. Der US-Journalist John Seigenthaler senior beklagte Rufmord, über mehrere Monate hinweg wäre er in der englischsprachigen Wikipedia unter anderem als Mordverdächtiger von US-Präsident John F. Kennedy und dessen Bruder Robert hingestellt worden.

Dazu Christoph Breitler, einer der österreichischen Administratoren, jenen Menschen also, die vorgenommene Änderungen auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen: "Im Fall von John Seigenthaler konnte der Übeltäter, der sich nur einen Scherz erlauben wollte, ausgeforscht werden. Seigenthaler verzieh ihm, nicht jedoch sein Arbeitgeber, der den Scherzbold entließ."

Der Fall Tron

Besonders oft vandaliert wird übrigens der Eintrag "Affe", danach kommen weitere Tierbegriffe, sowie Artikel, die mit dem Nationalsozialismus im Zusammenhang stehen. Die meisten Vandalen-Akte sind laut einer internen Studie aber innerhalb von fünf Minuten wieder beseitigt. "Es kommt erstaunlicherweise selten vor, dass wir Leute von der weiteren Mitarbeit an der Wikipedia ausschließen müssen", sagt Jimmy Wales. "Es stellt sich heraus, dass die große Mehrheit der Menschen gut ist und kein Interesse daran hat, Böses zu tun. Wir versuchen, die Herzen der Menschen zu ändern. Wenn wir einem Menschen zeigen, dass wir uns um ihn kümmern und ihn ernst nehmen, dann ist fast in jedem Fall das Problem schon gelöst."

Wenig Liebe brachten die Eltern des Studenten Boris F. der Wikipedia entgegen. Boris F. war als Hacker unter dem Pseudonym "Tron" zu einiger Berühmtheit gelangt, 1998 beging er Selbstmord. Logisch, dass es zu Tron einen Eintrag in der Online-Enzyklopädie geben muss. Ob man Trons bürgerlichen Namen in voller Länge angeben soll, darüber waren sich die Wikipedia-Autoren nicht einig, die Mehrheit aber war dafür. Man verriet damit kein Geheimnis, Trons kompletter Name ist an zahlreichen Stellen im Netz zu finden. Die Eltern aber verklagten die Wikipedia. Der Vater, ein Reiseleiter, führte an, dass ihm Aufträge entgingen, wenn er mit den Hackeraktivitäten seines Sohns in Zusammenhang gebracht werde. Beugte man sich diesem Druck, könne bald jeder, dem etwas nicht passe, eine Änderung verlangen, sagten sich die Wikipedianer. Der Antrag des Vaters wirbelte medial einigen Staub auf, stattgegeben wurde ihm schlussendlich nicht.

Die Zukunft der Wikimedia Foundation

In 25 Jahren, so träumt Jimmy Wales, wird die Trägerorganisation Wikimedia Foundation so weit verbreitet sein, wie heute das Internationale Rote Kreuz. Die Wikimedia Foundation werde mit allen Projekten zusammenarbeiten, deren Ziel es ist, das Wissen der Menschheit gratis zur Verfügung zu stellen. Wie sagte Jimmy Wales doch gleich? "Wir versuchen die Herzen der Menschen zu ändern".

Hör-Tipp
Diagonal, Samstag, 4. März 2006, 17:05 Uhr

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