"Ich bin nicht mehr der Mann, der ich einst war"

Hier spricht Guantanamo

Fünf ehemalige Häftlinge des US-Gefangenenlagers berichten von Folter, Vergewaltigung und systematischer Misshandlung, obwohl niemandem eine Verbindung zum 11. September nachgewiesen werden konnte.

Roger Willemsen zu schwierigen Interviewsituationen

Khalid Mahmoud al-Asmar war zum Zeitpunkt des Interviews erst seit wenigen Monaten in Freiheit. Der ehemalige Mitarbeiter einer Hilfsorganisation und spätere Gewürzhändler war 1985 zum Studium nach Pakistan gegangen und aus politischen Gründen im Jahr 2000 nach Afghanistan gezogen. 2002 wurde er nach Guantánamo gebracht. Er lebt heute arbeits- und mittellos in der Nähe von Amman. Das Gespräch fand im Beisein seines Anwalts statt.

Wussten Sie, wo Guantánamo liegt?
Nein. Ich habe erst, als ich dort war, erfahren, dass Guantánamo in Kuba ist. Als wir ankamen, wurden wir in der gleichen Art und Weise empfangen wie in Kandahar. Wir wurden geschlagen, beschimpft und danach mit einem Minibus zum Gefangenenlager neben dem Krankenhaus transportiert. (...)

Hatte das Verhör eine andere Qualität im Vergleich mit denen zuvor?
Natürlich. Als wir ankamen, wurden wir untersucht, bekamen andere Kleidung und mussten alle sechs Tabletten einnehmen. Dies haben alle Mitgefangenen bestätigt. Danach bekamen wir so eine Art Halluzination, einen Schwindel und ein Gefühl der Desorientiertheit. Diese Tabletten waren keine Medizin, das war etwas anderes.
Sie nutzten unsere Müdigkeit, den langen Flug und die Angst aus. Sie führten uns direkt zum Verhör. (...) Die erste Frage lautete: 'Was ist deine Aufgabe und Position bei den Taliban?' Ich habe geantwortet: 'Ich gehöre nicht zu den Taliban. Ich bin Gewürzhändler.' Sie fragten: 'Was heißt Gewürzhändler?' Ich erwiderte: 'Ich verkaufe Kräuter und Honig.' Dann sagten sie: 'Wusstest du nicht, dass Honig die Haupteinnahmequelle von Al Quaida ist? Ich erwiderte: 'Was habe ich mit Al Quaida zu tun? Ich verkaufe ein halbes oder ein Kilo Honig; Al Quaida kann von meinem Verkauf nicht profitieren. Ich kann ja meine Familie dadurch kaum ernähren.' (...)

Hatten Sie den Eindruck, dass Ihre Dolmetscher gut waren?
In Guantánamo hatten wir sehr schlechte Dolmetscher, die das Gesagte oft falsch wiedergaben. In vielen Fällen haben Gefangene, die Englisch beherrschten, sich widersetzt und gesagt, dass sie das so nicht gesagt hätten, sondern so und so ...
Die meisten Übersetzer waren Amerikaner, und zwar nichtarabische Amerikaner. Die hatten gerade mal einen sechsmonatigen Kurs belegt. (...)

Wie reagierte das Wachpersonal auf Ihre Bitten und Forderungen?
Wenn ein Gefangener Forderungen stellte, entbrannte immer Streit mit den Soldaten. Die brachten dann gleich ihre Hunde mit. Die Soldaten sprühten zuerst Tränengas oder Pfefferspray und ließen dann einen Hund in die Zelle. Der Gefangene versuchte sich über dem Bett in Sicherheit zu bringen, aber der Hund griff ihn sogar dort an, biss ihn und zerrte ihn nach unten auf den Boden. Erst dann kamen die Soldaten rein und griffen den Gefangenen brutal an. Obwohl er schon aufgegeben hatte, ließen sie ihn nicht los, bis sie ihm einen Knochen gebrochen hatten. Sie fassten seinen Arm mit brutaler Gewalt. Der Gefangene schrie: 'Es reicht, ich tue nichts mehr.' Sie erwiderten: 'Nein, wir werden dir trotzdem etwas antun.' (...)

Sind Gefangene umgekommen in Guantánamo?
In Guantánamo nicht, aber in Bagram. Einige Gefangene haben in Bagram gesehen, wie andere Gefangene zu Tode geschlagen wurden. Ich möchte aber erwähnen, dass 28 Afghanen versucht haben, sich umzubringen, als die Amerikaner den Koran entweiht und ihn neben die Toilette geworfen haben. (...)

Wurde Musik gegen Sie eingesetzt?
Ja. Ganz laute Musik.

Was war die Wirkung der Musik auf Ihr Bewusstsein?
Die Gefangenen wurden oft im Verhörraum auf einen Stuhl gesetzt und gefesselt allein gelassen. Dann wurde die Klimaanlage sehr kalt eingestellt und die Musik ganz laut aufgedreht. Sie mussten oft bis zu sieben, acht oder zehn Stunden dort bleiben. Manchmal kamen Frauen rein und haben sie sexuell belästigt. (...)

Sie erwähnten Streiks als Widerstandsmittel. Gab es andere solche Mittel?
Die Streiks und alle anderen Arten des Widerstands, die in Guantánamo stattgefunden haben, sind entstanden, weil man unseren Glauben und unsere religiösen Symbole entweiht hatte. Die Ermittler haben die Gefangenen oft während der Verhöre in die israelische oder amerikanische Flagge eingehüllt, den Koran auf den Tisch gelegt, ihre Füße hochgenommen und auf den Koran gelegt. Sie fragten: 'Ist das das Buch für das ihr kämpft? Ist das das Buch, das euch beschützen soll? Lasst es auch jetzt beschützen.' Der ganze Widerstand, ob durch Streik oder andere Methoden, entstand nur deswegen. (...)

Hat Ihre Frau sie nach Ihrer Rückkehr sehr verändert gefunden?
Ja. Meine Frau sagte, ich hätte mich sehr verändert. Ich bin ungeduldig, schreie die Kinder oft an. Ich behandle meine Frau und die Kinder streng, werde schnell sauer. Sie sagt, ich wäre nicht der Mann, den sie gekannt hätte. (...)

Buch-Tipps
Roger Willemsen, "Hier spricht Guantánamo", Verlag Zweitausendeins, Bestellnummer 200283

Roger Willemsen, "Afghanische Reise", Fischer Verlag, ISBN 3100921038

Links
Zweitausendeins - Hier spricht Guantanamo
Fischer Verlag - Afghanische Reise
Roger Willemsen