Springt Hollywood über seinen Schatten?
Gebrochene Tabus
Filmfans haben den Termin schon vorgemerkt: In der Nacht auf den 6. März werden die Oscars verliehen. Als Favorit gilt mit acht Nominierungen der Schwulenwestern "Brokeback Mountain". Doch der Film hat den Oscar noch nicht in der Tasche.
8. April 2017, 21:58
Auf den ersten Blick ist der Trend eindeutig: Hollywood positioniert sich als liberaler Gegenpol zum konservativen George-Bush-Regime, infantile Blockbuster spielen bei den Nominierungen für wichtige Oscars keine Rolle mehr, Erwachsenenkino rules. Sämtliche fünf als "Bester Film" vorgeschlagene Titel sind im engeren oder weiteren Sinn politisch: "L. A. Crash", "Good Night, and Good Luck", sowie "München" eher im engeren, "Capote" und "Brokeback Mountain" im weiteren, mehr gesellschaftspolitischen. In beiden Filmen geht es, zumindest auch, um Homosexualität.
Und genau hier könnte das Problem liegen. Die Oscar-Academy hat in den vergangenen Jahren schon so manches Tabu gebrochen: Sie hat Filme über den Holocaust ("Schindlers Liste", "Der Pianist") prämiert und afroamerikanischen Stars die Trophäe gleich im Doppelpack überreicht (Denzel Washington und Halle Berry 2002). Sie hat feministische Themen lanciert (Julia Roberts in "Erin Brockovich") und sie hat giftigen Satiren auf das Glück in den Suburbs die Auszeichnung nicht verwehrt ("American Beauty" 2000). Im Fall von "Brokeback Mountain" liegen die Dinge ein wenig anders.
Sinneswandel oder Marktlücke?
Eine offen schwule Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des amerikanischsten aller Filmgenres, des (modernen) Western - das ist gleichsam ein Tabu innerhalb des Tabus. Mit offener Homosexualität hatte Hollywood nicht erst seit den Tagen von Rock Hudsons "Coming Out" ein Problem. Wer die materialreiche Dokumentation "The Celluloid Closet" gesehen hat, erinnert sich der köstlichen Szene, in der Gore Vidal schildert, wie der Gedanke, Messala und Ben Hur könnten in ihrer Jugend ein Liebespaar gewesen sein, trickreich am rechten Haudegen Charlton Heston vorbei ins Drehbuch zu "Ben Hur" geschmuggelt werden musste. Ob sich da seither wirklich so viel geändert hat? Die Oscar-Nacht wird es zeigen. Und selbst wenn "Brokeback Mountain" diesmal doch abräumt, bleiben leise Zweifel zurück: Wäre das ein echter Sinneswandel oder hätte Hollywood nicht einfach nur eine neue Marktlücke entdeckt? Nach zahlreichen im Fernsehen längst erfolgreichen Gay-Soaps wäre es ohnehin spät genug.
Mehr zu den Oscar-Nominierungen in Ö1 Inforadio
Mehr zu den angesprochenen Filmen in oe1.ORF.at:
Good Night, and Good Luck
L. A. Crash
München