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Gibt es maskierte Bücher?

"Natürlich!", werden Sie ausrufen. "Der beste Beweis ist das jüngste Buch von (hier bitte Eigenerfahrung einsetzen). Von wegen (siehe vorige Klammer)! Da lachen doch die Hühner!" Ich bitte Sie! Die armen Hühner haben im Moment ganz andere Sorgen!

Ich nehme an, dass Sie mir zustimmen und nach einigen Nachdenksekunden spontane, also von Fremdkritik unbeeinflusste, Buchbeurteilungen vom Typus "Das Buch X vom Autor Y - der reine Schwachsinn!" parat haben. Oder Ähnliches. Zum Beispiel: "Was hat das mit fundierter Information zu tun? Was der (oder die) da schreibt, das schmeiße ich noch mit 41 Grad Fieber aufs Papier!" Ich denke, Sie wissen, was ich meine.

Das ist die Art von maskiertem Buch, die der einfachsten und einfallslosesten Verkleidung beim "Gschnas" entspricht: der schlichten roten Nase. Mit oder ohne Bärtchen drunter, mit oder ohne Brille obenauf. So dass jeder gleich sagen kann: "Hallo Sepp, hat Dir Deine Freundin das Kostüm versteckt?" Ein Täuscher-Buch ohne besondere kriminelle Energie.

Falls Sie noch nie mit maskierten Büchern zu tun hatten: Seien Sie versichert, Bücher haben a) ein Eigenleben und b) kriminelle Energie! Das mit dem Eigenleben muss man einfach akzeptieren. Man legt Buch A an einen bestimmten Platz und findet es woanders wieder. Oder auch nicht. Ich kann sie ja verstehen, diese Wanderbücher. Ich würde auch lieber an einem erfreulichen Ort auf eine Neuverwendung warten als zum Beispiel unter ein paar alten Tageszeitungen. Lassen Sie sich also nicht einreden, Sie hätten einfach vergessen, wo Sie das Buch hingelegt haben.

Aber das mit der kriminellen Energie. Kennen Sie Doping-Bücher? Früher pflegten soignierte ältere Herren die reich mit Kupferstichen ausgestatteten Goldschnitt-Lederbände in versperrbaren Bücherschränken aufzubewahren. Heute sind Doping-Bücher so selten geworden wie der Markt an Doping-Zeitschriften riesig.

Oder die Blender-Bücher. Dazu gehören eine Menge Kochbücher, denen man die Maske erst auf den zweiten Blick anmerkt. Den ersten Blick fangen nämlich die wunderschönen Fotos ein, Food-Styling erster Klasse, sowie der Name des Verfassers, meist ein Top-Cuisineur mit mindestens 5 Fressführer-Sternen. Aber versuchen Sie mal, die Gerichte nachzukochen! Schon probiert? Na dann wissen Sie ja, wie diese nicht nachvollziehbaren Minimal-Rezepte aussehen: viele weiße Seite, in der oberen Mitte ein paar Zutaten möglichst exotischer Herkunft (von unaussprechlichen Gewürzen wie Asafoetida bis unerreichbaren Fischen wie Zebrahai-Rotflossenbarschen in ausreichender Menge), in der unteren Mitte ein paar spärliche Angaben zur Zubereitung, meist in falscher Reihenfolge.

Geld-Schmelze-Bücher kennen Sie bestimmt auch. Das sind meist wirklich schöne, sehr aufwändig gestaltete Bildbände, die man zweifelnd in der Hand wiegt, weil sie so schweineteuer sind. Aber da die Tante Mimi, der man nur und ausschließlich mit allerneuesten Fotobüchern Freude bereiten kann, Geburtstag hat, denkt man sich, was soll's, hofft auf eine kleine Revanche im Testament der lieben Tante und kauft das Geld-Schmelze-Buch. Wider besseres Wissen. Denn kaum vier Monate nach dem Erscheinen liegt das Buch auf allen Wühltischen zu einem Bruchteil des Anfangspreises.

Zeitdieb und Kopfchaoserzeuger sind weitere beliebte Büchermasken, die kennen Sie, natürlich! Aber wussten Sie, dass sich Bücher auch als Mörder maskieren können? Vor denen sei gewarnt! Sie sind Meister der Maske und daher kaum zu erkennen. Aber man weiß, dass Mörderbücher meist dick und staubig sind und auf dem obersten Buchregal zu wohnen pflegen. Ja, auch Sie könnten ein Mörderbuch in Ihrer Wohnung beherbergen, und es liegt nur an Ihnen, ob dieses Buch seiner schauerlichen Bestimmung folgen kann oder nicht.

Sollten Sie eines in Verdacht haben, dann lassen Sie es um Himmels Willen auf jeden Fall stehen! Versuchen Sie es auf keinen Fall vom Regal zu holen, es sei denn, Ihre Bibliotheksleiter ist in ausgezeichnetem Zustand und Sie haben einen freundlichen Menschen zur Seite, der die Leiter hält! Denn ein Mörderbuch ist raffiniert. Erzeugt unstillbares Verlangen in Ihren Fingern, deren Nerven nicht aufhören, "Buch halten wollen" ans Gehirn zu senden, solange, bis Sie entnervt aufgeben und waghalsige Manöver unternehmen, um genau dieses dicke staubige Buch von ganz oben anschauen zu wollen. Keith Richards, der von den Rolling Stones, ist einem dieser Mörderbücher in die Falle gegangen. Er kam glimpflich davon, mit einem gebrochenen Bein.

Schlimmer erwischte es den einsiedlerischen Klaviervirtuosen Charles-Valentin Alkan. Er wollte den Talmud seines Großvaters mit seinem eigenen vergleichen. Stieg auf einige Bücher. Verlor das Gleichgewicht. Hielt sich an einem Regalbrett fest. Stürzte. Das Regal reagierte pikiert - klar, von einfachem Holze wird's gewesen sein - und stürzte ebenfalls zu Boden. Und der Talmud des Großvaters, das mörderische Buch, ließ sich mit Wucht auf den Kopf des ungeliebten Besitzers fallen. Exitus Alkan.

Hüten Sie sich vor der kriminellen Energie Ihrer Bücher. Und überlegen Sie sorgfältig, ob Sie sich von genau diesem Buch, das Sie vom obersten Regal Ihrer Bibliothek holen wollen, auch (gerne) erschlagen lassen würden!