Eine verspielte Chance auf Wachstum?
Neue EU-Dienstleistungsrichtlinie
Im EU-Parlament in Straßburg wurde jüngst der Grundstein für grenzüberschreitende Dienstleistungen gelegt. Die nach langem Tauziehen entschärfte Version der Dienstleistungsrichtlinie soll dabei auch für Dienstleister einen funktionierenden Binnenmarkt schaffen.
8. April 2017, 21:58
Ausschnitt aus einer "Saldo"-Diskussion mit Herbert Hutar
Das EU-Parlament in Straßburg hat sich vor wenigen Tagen mit großer Mehrheit auf eine entschärfte Version der so genannten Dienstleistungsrichtlinie geeinigt. Darin ist das umstrittene Herkunftslandprinzip nicht mehr enthalten. Auch die von Christ- und Sozialdemokraten vereinbarten generellen Einschränkungen, zu denen jetzt nicht mehr Konsumentenschutz und Sozialpolitik zählen, wurden angenommen.
Für den neuen Entwurf stimmten insgesamt 394 Abgeordnete, 215 Parlamentarier waren dagegen, 33 enthielten sich der Stimme. Bevor aber die neue Richtlinie in Kraft treten kann, müssen erst alle 25 EU-Staaten zustimmen.
Gute oder schwammige Lösung?
Bei Österreichs Politikern und Interessenvertretern sind die Reaktionen auf den Entwurf teilweise gespalten. Während Wirtschaftsminister Bartenstein und Sozialministerin Haubner die neue Richtlinie als gute Basis für die weitere Behandlung durch die Kommission beurteilen, gibt es von Seiten der Opposition auch Kritik zu hören.
Der sozialdemokratische Wirtschaftsverband sieht zum Ursprungspapier nur eine leichte Verbesserung. ÖAAB-Bundesobmann Fritz Neugebauer begrüßt hingegen, dass der "Schreckensbegriff Herkunftslandprinzip" aus der Richtlinie herausgefallen sei. Für Arbeiterkammer-Präsident Herbert Tumpel wiederum ist die Richtlinie nicht entschärft worden, weil die wichtigste Frage der Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten nicht gelöst ist.
Die ursprüngliche Fassung mit maximaler Freizügigkeit für Betriebsberater, Installateure oder auch Pflegedienste hätte jedenfalls mindestens 600.000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Ist diese Chance jetzt vertan? Das fragen sich auch Mag. Walter Gagawczuk von der Arbeiterkammer und Christina Fürnkranz von der Industriellenvereinigung in einem "Saldo"-Gespräch mit Herbert Hutar.
Der neue Entwurf im Detail
Statt dem "Herkunftslandprinzip" gilt die "Freiheit der Dienstleistungen", ohne dass zusätzliche Registrierungen, behördliche Genehmigungen, eine Mitgliedschaft in einer Kammer oder eine KFZ-Zulassung im EU-Ausland noch nötig wären. Generelle Einschränkungen dürfen die EU-Staaten nur aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, des Umweltschutzes und der Gesundheit machen.
Geltungsbereich
Zahlreiche Branchen und Sektoren sind gänzlich ausgenommen, darunter Finanzdienstleistungen, die elektronischen Kommunikationsnetze, Steuerwesen, der öffentliche Verkehr, private und öffentliche Gesundheitsdienste, soziale Dienstleistungen, Bank- und Versicherungsgeschäfte, Rechtsanwälte und Notare, Glücksspiele, Casinos und Lotterien, Zeitarbeitsfirmen und Sicherheitsdienste. Einschränkungen gelten auch für "Dienste von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse" wie die Post, Elektrizitäts-, Gas- und Wasserversorgung und die Abfallbehandlung.
Arbeitsrecht und Verbraucherschutz
Das Arbeits- und Sozialrecht ist von der neuen Richtlinie unberührt. Kollektivverträge dürfen daher nicht unterlaufen werden. Außerdem gilt hinsichtlich der Verbraucherschutz-Gesetze weiter uneingeschränkt die so genannte "Entsenderichtlinie", wonach für entsandte Arbeitnehmer die Arbeitsbedingungen jenes Mitgliedstaates gelten, in den sie entsandt werden. Das Land, in dem die Dienstleistungen angewendet werden, darf auch Kontrollen durchführen. Bei Verstößen dürfen die Behörden eine Kaution zur allfälligen Durchsetzung von Urteilen verlangen.
Die Zielsetzungen
Anbietern von Dienstleistungen soll es künftig möglich sein, ohne bürokratische Barrieren überall in der EU tätig zu werden. Dabei sollen zahlreiche Schikanen und Hürden abgeschafft werden, die vom Europäischen Gerichtshof bereits in rund 150 Urteilen beanstandet worden sind. Die Kommission erhofft sich von der Marktöffnung auch zahlreiche neue Arbeitsplätze.
Damit die neue Richtlinie in Kraft treten kann, müssen allerdings noch sämtliche Regierungen der 25 EU-Staaten zustimmen. Die österreichische EU-Ratspräsidentschaft will die Dienstleistungsrichtlinie am 13. März beim EU-Wettbewerbsrat diskutieren. Der Legislativvorschlag für die Dienstleistungsrichtlinie soll laut EU-Kommission bis spätestens Ende April auf dem Tisch liegen.
Hör-Tipp
Saldo, Freitag, 24. Februar 2006, 9:45 Uhr
Download-Tipp
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Links
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