Der atomare Abfall des Kalten Pop-Kriegs

"Strahlende" Pop-Musik

Dass die Popkultur eine Gegenkultur zu sein hat, ist ein Gerücht. In den 1950er und 1960er Jahren ließ sie sich wunderbar anti-kommunistisch, gottesgläubig und großmannssüchtig instrumentalisieren. Ein Dokument hiefür: die "Atomic Platters".

Slim Gaillard's "Atomic Cocktail" (Ausschnitt)

Am 6. und 9. August 1945 werfen die Amerikaner die Atombomben auf die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki. Hunderttausende Menschen sterben.

Nur wenige Tage später kündigen die Strip-Clubs von Los Angeles Atom-Bomb-Dancers an. Ein New Yorker Juweliergeschäft bietet "atomar inspirierte“ Broschen an und auf dem Label Atomic veröffentlicht das Slim Gaillard Quartette den Song "Atomic Cocktail". Das ist der Drink, den man nicht austrinkt: einen Schluck, mehr braucht man nicht.

Naive Bombensongs und andere Absurditäten

Zu jener Zeit ist eine Vielzahl naiver Bombensongs erschienen, der die launige Ignoranz der meisten Amerikaner gegenüber dem wahren Horror belegt, den der Atombombenabwurf in Japan angerichtet hat. 1946 präsentierte etwa der Modeschöpfer Louis Reard seinen zweiteiligen Badeanzug, den er nach dem Atomtest-Atoll "Bikini" genannt hatte. Die Hotels in Las Vegas veranstalteten sogar Bewerbe um den Titel einer Miss Atomic Bomb. Kaufhäuser starteten "Atomic Sales". Bonbons der Sorte "Atomic FireBall" standen in den Regalen der Geschäfte. Friseure warben mit "Atomic-Air-Dos". Komödianten kündigten sich als "Atomic Comics" an. Die Bombe war fast allgegenwärtig.

Im Musikgeschäft wurde der Sänger Gene Vincent als das heißeste nach der Wasserstoffbombe angepriesen und der junge Elvis Presley als "Atomic Powered Singer“. Auch Bill Haley and his Comets nahmen damals das Lied "Thirteen Women" auf - eine hirnrissige Story, in der ein Mann träumt, dass er einen Atombombenangriff überlebt - als einziger Mann in der ganzen Stadt. Aber auch 13 Frauen überleben und kümmern sich um ihn - eine radioaktive Männerfantasie.

Das Lob des Geigerzählers

"Tic, tic, tic" - so heißt ein fröhliches Lied von Doris Day über einen Geigerzähler, das 1949 entstand - von jener blonden Schauspielerin, die in den 1950er und frühen 1960er Jahren mit Rock Hudson all diese schrecklich prüden Schlafzimmer-Schmonzetten drehte. Das Keuscheste aller Sexsymbole wurde sie einmal genannt, und ein Filmkomponist sagte über sie: "Ich kannte sie schon, bevor sie Jungfrau wurde".

Ab diesem Jahr wussten übrigens die Amerikaner, dass auch die UdSSR Nuklearwaffen besaß. Ein groß angelegtes Zivilverteidigungsprogramm lief an, in dem Prominente wie Johnny Cash, Bing Crosby, Connie Francis, Boris Karlof oder Pat Boone den Amerikanern erklärten, dass man keine Angst zu haben brauche und gar nicht viel tun müsse, um eine Atombombe zu überleben. Nur ein bisschen Zivilschutz, ein kleiner Unterstand und ein Notvorrat würden genügen.

Ewig strahlende Liebeslieder

Eines der vielen Songs zu jener Zeit, in denen weibliche oder männliche Sexualpartner mit Atombomben verglichen wurden, ist "Atomic Baby" von Amos Milburn. Auch eine gewisse Fay Simmons besang ihren Lover: "You hit me baby like an atomic bomb". Und der Sänger Chris Cerf schwärmte von seiner "Fallout Filly with the atomic kiss", die ihn strahlend ewig lieben würde, weil sie eine Halbwertszeit von ein paar Millionen Jahren habe.

Zum Schutz vor dem atomaren Fallout empfahl damals die US-Zivilschutzbehörde, unterirdische Bunker anzulegen. Und schon entstand mit "Fallout shelter" eine herzzerreißende Ballade über den Strahlenschutzbunker - ein wunderbares Teenagerdrama, in dem der Lover aus Liebe zu seiner Angebeteten auf einen Platz im Familienbunker verzichtet.

Songs als Ventil gegen Angst

Auch Ängste und Gefühle aller Art wurden von der amerikanischen Unterhaltungsindustrie sofort in gute 2:30-Songs verpackt. Gesellschaftliche Angstströme und Paranoiaschübe fanden in solchen Stücken ein Ventil. Wenn z. B. die Atombombe als Metapher für einen großen Busen benützt werden kann, kann sie nicht so schlimm sein ...

Und wofür könnten Eiserner Vorhang und Kalter Krieg stehen? Die Antwort wusste das quäkende Organ des Country-Music-Spezialisten Floyd Tillman, der in dem Song "This cold war with you" die Beziehung zu seiner Partnerin beklagt, denn "im gemeinsamen Leben gibt es sowohl einen Eisernen Vorhang als auch einen Kalten Krieg".

Über teuflische Kommunisten

Country-Music war zur Zeit des Kalten Kriegs besonders anfällig für antikommunistische, bigotte und großmannssüchtige Texte: Country-Ikone Hank Williams veröffentlichte 1950 unter dem "nome de guerre Luke the Drifter" eine Warnung an Josef Stalin: Dieser möge sich gefälligst nicht mit den USA anlegen; das hätten schon andere versucht, die jetzt alle in der Hölle rund ums Feuer sitzen und für Stalin einen Platz reserviert haben: der Kaiser, Hitler und Mussolini.

Der Westen nutzte im Kalten Krieg auch die Religion als moralische, entmilitarisierte Zone zwischen den überlegenen gottesfürchtigen Kapitalisten und den kommunistischen Barbaren: "Es gibt ein Land", so singt Jim Eanes in "They locked god outside the iron curtain", "wo die Kinder nicht spielen können, wo die Menschen vergessen haben zu beten, wo man Gott mit einem Eisernen Vorhang ausgesperrt hat". Und dann setzt dieser Song noch einen drauf, indem er die Kommunisten auf eine Stufe mit dem Teufel stellt: "Einem alten Satan haben sie eine Königskrone aufgesetzt".

Als der Kalte Krieg zu Ende ging

Ein spätes und bizarres Beispiel für Kalte-Kriegs-Lyrik im Country-Gewand stammt aus dem Jahr 1966: "To Russia with care". In diesem fantastisch miesen Song von Harold Weakley nagelt einer seine Ehefrau in die Transportkiste, um sie nach Moskau zu verschicken, weil er genug von ihrem linken Gehabe hat. Eine rote Fahne gibt er ihr noch mit: "Du passt nicht in die USA, die brauchen dort in Moskau so eine Quatschmaschine wie dich für ihre Propaganda, in einem Jahr wirst du dort sowieso Premier sein. Gott schütze die Nägel, die die Kiste verschließen".

Als schließlich der heiße Krieg in Vietnam eskalierte, verflüchtigte sich der Atompilz, und das Feindbild Sowjetunion verblasste. Das Vietnam-Debakel und der Watergate-Skandal sorgten dafür, dass die Stimmung in der amerikanischen Bevölkerung immer mehr von Missstrauen und Zynismus geprägt wurde. Die Vorstellung, dass man einen Dritten Weltkrieg überleben könnte, hatten nur noch wenige.

Atomic Platters

Übriggeblieben aus jener Paranoia-Welt aus Bedrohung durch einen Atomschlag von außen und kommunistische Unterwanderung von innen sind jene nur bruchstückhaft angeführten Songs, die es zu Haufen gibt. Reaktionär, aber Popsongs - viele kleine Versuche, mit Grauen und Angst ein paar schnelle Dollar zu verdienen.

Erstehen kann man diese musikalischen Dokumente von damals in einer etwa zwei Kilogramm schweren CD-Box mit insgesamt fünf CDs, einer DVD und einem 300 Seiten starken Booklet. "Atomic Platters" heißt das aufwändig gestaltete Set - eine Sammlung, die den Atombomben- und Paranoia-Pop des Kalten Krieges dokumentiert, also jede Menge Schwachsinn, Angst und Bösartigkeit.

Hör-Tipp
Spielräume Spezial, Sonntag, 19. Februar 2006, 17:10 Uhr

Mehr dazu in Ö1 Programm

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

CD-Tipp
Atomic Platters, Box-Set mit fünf CDs, einer DVD und einem 300-Seiten-Buch, Bear Family Records, BCD 16065

Link
Bear Family Records