Expertenmeinungen über Evolution und Schöpfung

Zufall oder göttlicher Plan?

Ist die neo-darwinistische Evolutionstheorie die richtige oder die Schöpfungslehre? Ist in dieser Frage überhaupt ein Konsens möglich? Hochkarätige Theologen und Naturwissenschaftler aus Deutschland und Österreich geben ihre Standpunkte und Meinungen ab.

Statement von Kardinal Christoph Schönborn

Der uralte und bereits tot geglaubte Streit zwischen Theologen und Naturwissenschaftern rund um den Themenbereich Evolution und Schöpfung ist auf das Heftigste neu entflammt. Anlass waren die kritischen Äußerungen von Kardinal Christoph Schönborn gegen neo-darwinistische Tendenzen der Evolutionstheorie in der "New York Times".

Ist die neo-darwinistische Evolutionstheorie die richtige oder die Schöpfungslehre, die auf einem göttlichen Konzept für die Welt beruht? Theologen, Naturwissenschaftler und Philosophen aus Deutschland und Österreich beziehen dazu Stellung und versuchen, einen Konsens in dieser strittigen Frage zu erreichen.

Falsche Behauptungen?

Bestürzt ob der Aussagen von Christoph Schönborn zeigt sich der Biologe und Mediziner Gerd Müller, Professor am Institut für theoretische Biologie an der Universität Wien:

"Kardinal Schönborn gibt eine verdrehte Darstellung der Naturwissenschaften und stellt Behauptungen auf, die so überhaupt nicht stimmen. Durch die Übernahme der Terminologie einer kleinen fundamentalistischen christlichen kreationistischen Gruppe in den USA macht er nicht nur diese extreme fundamentalistische Position salonfähig, sondern er belastet und schwächt dadurch die Katholische Kirche".

Finalitätsfrage entscheidend

Kardinal Christoph Schönborn bestreitet, den Ausdruck "Intelligent Design" verwendet zu haben. Die Frage nach dem Design sei eine Frage nach der Finalität. Und das sei ein Punkt, an dem die Biologie einfach nicht vorbeikomme: "Darwin hat doch zweifellos versucht, den Finalitätsgedanken - den Gedanken der Zielgerichtetheit - ganz aus dem Spiel zu nehmen, weil man dabei unweigerlich zur Frage kommt: Wer ist der Zielsetzer, wer ist der Zielvorgeber? Und damit ist man natürlich sofort wieder bei der Schöpfungsfrage".

Darüber hinaus betont Schönborn, dass die Biologie auf Dauer nicht ohne die Finalitätsfrage auskommen werde. Darüber seien sich inzwischen auch viele Biologen einig: "Damit steht man aber natürlich vor der Frage: Gibt es Intelligenz in dem, was wir in der Natur beobachten, gibt es Design? Das zu leugnen, scheint mir ganz, ganz schwierig".

Die Intelligent-Design-Version

Der Ansatz zu "Intelligent Design" sei in einer modernen Version des Kreationismus - einer annähernd wörtlichen Auslegung der biblischen Schöpfungsgeschichte - zu finden, sagt der Biochemiker und Philosoph Ulrich Krohs vom Konrad-Lorentz-Institut für Evolutions- und Kognitionsforschung:

"In der Übersetzung wird wörtlich genommen, dass Gott vor 5.000 bis 10.000 Jahren die Welt in sieben Tagen geschaffen hat. Die 'Intelligent-Design'-Version verzichtet auf Zeitangaben und gesteht den Naturwissenschaften nicht nur zu, dass die Welt viele Milliarden Jahre alt ist, sondern auch, dass es tatsächlich eine biologische Evolution im Sinne der Abstammung der Arten voneinander gegeben hat. Sie behauptet aber, dass es in den biologischen Erklärungen dieser Evolution Lücken gebe, die sich nicht durch naturalistische Erklärungen schließen ließen, und sie behauptet weiters, dass ein intelligenter Designer in den Evolutionsablauf eingegriffen, ein Paar neue Proteine geschaffen, ein bisschen am genetischen Material gedreht und so die Evolution vorangetrieben habe".

Genesis kein wissenschaftliches Dokument

Bibelwissenschafter sind sich einig, dass die Genesis kein wissenschaftliches Dokument ist. Sie bietet keine Theorie über die Entwicklung der Arten: "Die Genesis ist in ihrem historischen Entstehungsrahmen zu lesen. In Bezug auf die Evolution kann der Theologe nichts sagen“, betont Erich Zenger, Professor für Altes Testament an der Katholisch-Theologischen Fakultät in Münster.

Ulrich Lüke, geweihter Priester und Professor für Biologie, Philosophie und Theologie an der Technischen Hochschule in Aachen, regt an, in konstruktiven Dialogen die Missverständnisse in Bezug auf beide Schöpfungsberichte über das Sieben-Tage-Werk oder über die Adam-Eva-Geschichte auszuräumen. Die Bibel könne auch nicht als Alternative zur Evolutionsgeschichte verstanden werden: "Man wird künftig auch über die Schöpfung aus dem Nichts und über fortlaufende Schöpfung reden müssen", sagt Lüke.

"Genetischer Schrott" contra Schöpfergott

Evolution inkludiert auch Destruktion wie Missbildungen, Fehlentwicklungen und Tod. Dies widerspricht aber dem Bild des gütigen Schöpfergottes. Die Theodizee-Frage - die Frage, warum ein guter Gott Übel zulassen kann - ist eng mit dem Thema Evolution und Schöpfungsglaube verknüpft:

"Wir kommen angesichts der Himmel schreienden Katastrophen nicht umhin, von einem Anfang dieser Welt, einer letztverantwortlichen Instanz für diese Welt zu reden", sagt Johann Reikerstorfer vom Institut für Fundamentaltheologie der Universität Wien: "Indem wir hier aber auch die Zustimmung in der Nichtakzeptanz, im Nicht-Einverständnis mit der Welt, wie sie läuft und ist, formulieren, kommt in die Rede von der Schöpfung eine zeitliche Dynamik hinein, in der der Anfang erst im Ende erweisen wird, wie Gott uns als der Schöpfer hält und trägt".

Hör-Tipp
Logos, Samstag, 18. Februar 2006, 19:05 Uhr

Download-Tipp
Ö1 Club-Mitglieder können die Sendung nach der Ausstrahlung 30 Tage lang im Download-Bereich herunterladen.

Link
New York Times - "Finding Design in Nature", Artikel von Christoph Schönborn