Streit um die Willensfreiheit

Der Mensch - ein Opfer seiner Welt?

Der Jahrtausende alte Streit um die Willensfreiheit ist neu entbrannt. Ausgelöst wurde er durch das "Manifest der Hirnforschung im 21. Jahrhundert". Darin hatten elf führende Hirnforscher ein Ende der subjektiv empfundenen Willensfreiheit prophezeit.

Im "Manifest der Hirnforschung im 21. Jahrhundert" haben elf führende Hirnforscher des deutsprachigen Raums einen Blick in die Zukunft getan.

Ihre Vorhersage: Für die subjektiv empfundene Willensfreiheit bleibt in der Neurowissenschaft kein Platz. Die Folge ist eine Erschütterung des Menschenbildes.

Das Ende der Verantwortung?

Von praktischer Bedeutung ist das vor allem für die Psychiatrie, die Psychotherapie und das Strafrecht. Vertreter dieser Disziplinen gehen von einer weitgehenden Selbstbestimmtheit des Menschen aus. Fällt das Prinzip der Verantwortlichkeit und Schuld?

Hirnforschung im 21. Jahrhundert

"Die Hirnforschung wird in den nächsten 20 bis 30 Jahren den Zusammenhang zwischen neuroelektrischen und neurochemischen Prozessen einerseits und kognitiven und psychischen Leistungen anderseits soweit erklären können, dass Voraussagen über diese Zusammenhänge mit einem hohen Wahrscheinlichkeitsgrad möglich sind. Das bedeutet, man wird Willensakte und Handlungsfreiheit als natürliche Vorgänge ansehen, denn sie beruhen auf biologischen Prozessen.“ Das Manifest. Hirnforschung im 21. Jahrhundwert

Vor allem diese Passage aus dem "Manifest. Hirnforschung im 21. Jahrhundert" ist der Stein des Anstoßes. Einer der prominentesten Verfasser des Manifests ist Wolf Singer, Direktor des Max Planck Instituts für Hirnforschung in Frankfurt/Main. Eine Revolution sei nicht geplant gewesen, sagt er. Es habe sich vielmehr um eine Initiative des Verlags gehandelt, der Hirnforscher widerstrebend Folge geleistet hätten.

Willensfreiheit - naturwissenschaftlich unhaltbar

Willensfreiheit - eine Illusion? Nicht unbedingt, auch wenn man aus streng naturwissenschaftlicher Sicht zwangsläufig zu diesem Schluss kommen müsse, so die Position des Psychologen Wolfgang Prinz vom Max Planck Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig.

Denn unser Leben bestehe nicht nur aus Natur, sondern auch aus Kultur. Es sei wie mit dem Einhorn. In der Natur gibt es das Einhorn nicht, als kulturelles Konstrukt sehr wohl. Und als solches habe es auch Einfluss auf das Denken der Menschen.

Eigentlich nicht frei, praktisch aber doch

Andere kulturelle oder soziale Tatsachen, die wir akzeptieren, sind zum Beispiel die Straßenverkehrsordnung oder der Bundeskanzler. Auch die gäbe es nur, weil wir sie akzeptieren und uns danach richten.

Der Mensch habe eigentlich keinen freien Willen, praktisch aber doch, so die Schlussfolgerung von Wolfgang Prinz. Der Zweck des freien Willen ist klar: Menschen können sich so gegenseitig verantwortlich machen.

Wir fühlen uns frei

Der Tübinger Theologe Eberhard Schockenhoff argumentiert gegen das deterministische Dogma mit dem Hinweis auf unsere Selbsterfahrung. Wir fühlen uns frei, deswegen seien wir - wenn auch sehr eingeschränkt -tatsächlich frei.

Die Selbsterfahrung halten Hirnforscher wie Gerhard Roth für einen schlechten Maßstab, denn Selbsterfahrungen täuschen uns oft, Schmerzpatienten seien ein Beispiel dafür.

Auch wenn wir - nach Meinung mancher Neurowissenschafter- streng determiniert sind, ließen sich praktisch doch keine Vorhersagen über unsere Entscheidungen machen. Im Hirn geht es nämlich hoch komplex und dynamisch zu. Es sei ähnlich wie mit dem Wetter, genaue Prognosen gibt es nicht.

Kluft bleibt

Die Kluft zwischen subjektivem Erleben und objektiver Beschreibung - Das ist das Kernproblem bei der Willenfreiheit. Noch ist dafür keine Lösung in Sicht. Wir wissen viel, verstehen aber wenig.