Ein moderner Klassiker

Die Hauptdarsteller der Nebenrollen

Thomas Bernhard - vor 18 Jahren gestorben - ist immer noch der unbestrittene Sonnenkönig der deutschsprachigen Literatur. Heute ist er ein moderner Klassiker. Sein Schatten wiegt schwer und sein Stil hat zahlreiche Nachahmer gefunden.

Vor 20 Jahren begann meine persönliche Geschichte mit Thomas Bernhard. Als Student kaufte ich die Suhrkamp-Taschenbuchausgaben seiner Werke. Den kargen biografischen Angaben über den Autor entnahm ich, dass dieser rätselhafte Schriftsteller einen Wohnsitz in Ohlsdorf hatte. Ohlsdorf, wo mag das liegen?

Atlanten haben mich schon immer fasziniert, deshalb begab ich mich auch gerne auf die Suche. Die Lösung: in der Nähe von Gmunden und dem Traunsee. Und dann, gerade vorher hatte ich mir "Wittgensteins Neffe" besorgt, sah ich ihn. Leibhaftig. In der Schottenpassage, dem so genannten Jonas-Reindl, saß Thomas Bernhard, alleine, auf einer Bank.

Der Menschenbeobachter

Das Besondere war, dass eine zweite Bank, die in unmittelbarer Nähe von Bernhards Bank stand, voll besetzt mit Wartenden war. Mir wurde schnell klar, warum der Dichter trotz vieler und vermutlich auch müder Menschen in seinem Späher-Refugium allein gelassen wurde: Seine ganze Körpersprache duldete keine Sitznachbarn.

Zudem hatte Bernhard einen Schirm, den er wie einen Degen benützte. Unaufhörlich zeichnete er mit diesem "Schirmdegen" imaginäre Halbkreise auf den Boden. Auch das waren sichtbare Zeichen, dass hier einer seinen Bannkreis nicht durchbrochen haben wollte. Der Zweck von Bernhards Übung war die Menschenbeobachtung.

Der Verweigerungskünstler

Bald darauf führte mich mein erstes literarisches Feature nach Ohlsdorf, wohin sonst?! Ich wusste, dass Bernhard von Reportern keine hohe Meinung hatte und dass man schon sehr viel Glück brauchte, um ihn vor das Mikrofon zu bekommen.

Mit bangem Herzen klopfte ich an das Tor seines Vierkanters in Obernathal, Gemeinde Ohlsdorf. Natürlich wurde mir nicht aufgemacht. Das war zu erwarten. Was sollte ich machen? Ohne Interview keine Sendung. So lernte ich, aus der Not eine Tugend zu machen. Ich begann mich in Ohlsdorf umzuhören, befragte die Landbevölkerung über ihren Nachbarn Thomas Bernhard.

Die Sendung "Die Hauptdarsteller der Nebenrollen" brachte mir die ersten Radiopreise ein, und das verdankte ich der Prominenz des Verweigerungskünstlers Thomas Bernhard.

Reines Glück

Im Februar wäre dieser Dichter aus Ohlsdorf 75 Jahre alt geworden. Eine Gelegenheit, den aktuellen Stand der Bernhard-Forschung zu untersuchen und den Fragen nachzugehen, welche Schätze der Nachlass birgt, und wie die Wirkungsgeschichte dieses Werks verläuft.

In 20 Jahren habe ich nun einige große und viele kleine Beiträge über Thomas Bernhard gemacht, dieser Arbeit nachzugehen, nachgehen zu dürfen, ist Glück, reinstes Glück.

Mehr zu Thomas Bernhard in oe1.ORF.at

Hör-Tipp
Tonspuren, Freitag, 2. Februar 2007, 22:15 Uhr

CD-Tipp
"Thomas Bernhard 1931 - 1989. Das Porträt", ORF-CD 700,
Ö1 Club-Mitglieder erhalten im ORF-Shop 10 Prozent Ermäßigung.

Link
thomasbernhard.at