Äthiopien an der Kippe zu neuem Krieg

Land auf tausend Pulverfässern

Äthiopien hat zwei gute Ernten hintereinander erlebt. Und doch: Die politische Lage ist instabil. Regierung und Opposition stehen in harter Konfrontation. Regionale Konflikte drohen den Bestand des Landes zu gefährden. Die UNO befürchtet den Ausbruch eines Krieges.

Einheimische zur momentanen Situation

Äthiopien, das seit Jahrzehnten am Tropf internationaler Hilfe hängt, schien zuletzt auf dem Weg zur Demokratie, bis die Regierung im Mai 2005 Wahlen manipulierte, Proteste blutig niederschlug und zugleich auf einen neuen Krieg mit Eritrea zusteuerte. Wohin taumelt das fragile Land am Horn von Afrika?

Fähig, für sich selbst zu sorgen

Der bitterarme Vielvölkerstaat Äthiopien hat in den letzten zwei Jahren Rekord-Ernten eingefahren. Dürre und Hunger plagen derzeit nur die Rinder züchtenden Nomaden im äußersten Süden.

Das Wirtschaftswachstum ist fast zweistellig. Das Land am Horn von Afrika mit seinen 75 Millionen Einwohnern könnte mittelfristig für sich selbst sorgen, wenn nicht zahllose Konflikte in einer auf alten Werten und Ansprüchen beharrenden Gesellschaft jede wirtschaftliche Dynamik im Keim erstickten.

Gefälschte Wahlen

Als im Mai 2005 die vom kleinen Volk der Tigreer dominierte Regierung das Ergebnis der Parlamentswahlen fälschte, kam es zu wütenden Protesten der (inhaltlich sehr heterogenen) Opposition, woraufhin die Regierung brachiale Gewalt einsetzte: Hunderte Demonstranten starben, Zehntausende wurden in Internierungslager gesperrt, 20 Zeitungen verboten, mehrere Dutzend Oppositionelle wegen Hochverrats angeklagt.

Die innenpolitische Situation ist seitdem zum Zerreißen gespannt. Protestierende Schüler und Studenten haben den Betrieb von Schulen und Universitäten vielerorts lahm gelegt; bewaffnete Befreiungsbewegungen in mehreren Regionen haben großen Zulauf.

Damoklesschwert schwebt über neuen Krieg

Weiter verschärft wird die Lage durch den Konflikt mit dem kleinen, erst seit 1993 unabhängigen Eritrea, gegen das Äthiopien bereits zwischen 1998 und 2000 einen Krieg führte, der an die 100.000 Menschenleben kostete. Nach einem Spruch des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag soll nun Äthiopien mehrere hundert Quadratkilometer Land an Eritrea abtreten.

Während die Regierung unter Premierminister Meles Zenawi eher kompromissbereit wäre, diesem Spruch zu folgen, steht sie aber andererseits unter massivem Druck der Öffentlichkeit, hart zu bleiben. Trotz ernster Warnungen des UN-Sicherheitsrats konzentrieren beide Seiten wieder Truppen an der Grenze und rasseln mit dem Säbel. Insbesondere für den Fall, dass Addis und/oder Asmara von inneren Problemen ablenken wollen, droht ein erneuter Krieg.

Tragik einer strukturkonservativen Gesellschaft

Das uralte Kulturland Äthiopien steht aber auch vor gigantischen Strukturproblemen. Eine tief verankerte schicksalsergebene Religiosität sorgt zwar einerseits dafür, dass es kaum Kriminalität und keinerlei religiöse Konflikte zwischen den etwa gleich stark vertretenen Muslimen und orthodoxen Christen gibt. Andererseits jedoch produzieren die Äthiopier jährlich drei Prozent Bevölkerungswachstum und verharren zugleich in mittelalterlichen Formen der Landwirtschaft, womit sie auf die Dauer unweigerlich eine chronische Hungerkatastrophe heraufbeschwören.

Findet überdies die politische Elite keine Wege, die 80 Ethnien des Landes fair in die politische Willensbildung einzubinden, gerät Äthiopien ebenso unweigerlich in einen chronischen Bürgerkrieg, an dessen Ende der Zerfall des Landes stehen könnte - mit unabsehbaren Folgen für eine extrem unruhige Region. Schon jetzt werden mindestens vier bewaffnete Befreiungsbewegungen aus Sudan, Somalia, Eritrea und Kenia unterstützt.

Hör-Tipp
Journal-Panorama, Mittwoch, 1. Februar 2006, 18:25 Uhr

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Link
Wikipedia - Äthiopien