Auf den Spuren eines Einzelgängers
Werner Brix "Unter Zwang"
Da es so scheint, als würde das neoliberale Beschleunigungsdenken auch auf die Kabarettindustrie übergreifen, bleibe ihm nichts anderes übrig, als zu spielen, sagt Werner Brix und macht sich "unter Zwang" auf die Spur des Einzelkämpfers.
8. April 2017, 21:58
Jede Runde ein paar neue Gesichtr...
Werner Brix ist außer sich: Gefesselt an einen nicht besonders bequem aussehenden Bürodrehstuhl, scheinbar gegen seinen Willen und im Zustand höchster Erregung, wurde der Schauspieler und Kabarettist zur Premiere seines aktuellen Programms auf die Bühne des Kabarett Niedermair gerollt. Die Vorgeschichte zu diesem auch in der Unterhaltungsbranche durchaus ungewöhnlichen Auftritt ist von der Bühnenfigur Brix schnell erzählt:
Der Künstler sah sich aus privaten Gründen außerstande, seinen Premierentermin für den Jänner 2006 einzuhalten. Der Veranstalter wieder war nicht willens, seinen Spielplan wegen irgendwelcher künstlerischen Befindlichkeiten zu verändern. Also musste Werner Brix an die Arbeit und nannte sein sechstes Solo - die Dynamik der Vorgänge beschreibend - "Unter Zwang". Was an der Geschichte stimmt und wo der Kabarettist mit komödiantischen Kunstgriffen zu Gange war, erzählt er in einem intensiven 80-Minuten-Monolog.
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Auf der Bühne reichert Werner Brix seine Protestnote gegen den Spielzwang mit allerlei wissenswerten Details aus dem praktischen Leben an, die er dem Internet entnommen hat. Man erfährt beispielsweise, dass Aluminium am besten mit Rhabarber zu reinigen ist, warum sich Kalk mit Essig leicht entfernen lässt und wie man Teflonpfannen vor Kratzern schützt.
Zwischendurch rollt der gefesselte Kabarettist an den Bühnenrand und lässt sich von einer freundlichen Dame im Publikum Bachblüten-Notfallstropfen in den Mund sprühen. "Sie dienen zur Vorbeugung, denn der Künstler leidet an spontanen Panikattacken", sagt er.
Was ist los mit Werner Brix?
Auf diese Frage gibt es zwei Antworten: einmal als Bühnenfassung und einmal als real existierenden biografischen Abschnitt seines Lebens. Tatsächlich gab es im Leben des Künstlers vor einiger Zeit eine Veränderung - nämlich seine Scheidung. Tatsächlich war er nicht voll Vorfreude darauf, ein neues Programm zu schreiben. Und: Tatsächlich wurde Werner Brix vom Impressario des Kabarett Niedermair dazu überredet, sich trotz aller Zweifel in die Arbeit zu stürzen und nichts zu verschieben.
Ausgehend von diesen drei Fakten ersann Werner Brix seine Bühnengeschichte über die Kabarettindustrie, deren Termindruck und deren Marktorientierung der Künstler gnadenlos ausgeliefert ist: "Ich habe nicht zum ersten Mal das, was mir selbst passiert ist, zum Thema meines Programms gemacht. Ich habe mich wirklich nicht imstande gefühlt, kreativ zu sein und ein Programm auf die Bühne zu stellen. Aber: Es gab schon einen Termin mit dem Kabarett Niedermair. Ich habe dann den Veranstalter angerufen und ihm das Problem geschildert, weil wir ja wirklich befreundet sind. Er wollte sich überlegen, ob man die Premiere verschieben sollte, rief mich nach ein paar Tagen an und meinte, es wäre besser für mich, mich zur Einhaltung des Termins zu zwingen. Ich habe mich zwar eine Stunde lang irrsinnig darüber geärgert und erst dann langsam verstanden, was er meinte. Und es war gut so."
Entfesselt
Werner Brix - 2006 für sein Programm "Megaplexx" mit dem Salzburger Stier ausgezeichnet - setzt auch im aktuellen Solo auf seine intensive schauspielerische Ausdruckskraft. Von Emotionen getrieben, entwirft er für sein Publikum den Alltag eines vom Leben nicht gerade verwöhnten Künstlers, der zu allem und jedem seine berechtigten Zweifel anmeldet.
Im wahrsten Sinne des Wortes entfesselt - denn im Laufe des Abends gelingt es dem Kabarettisten, sich der Schnüre zu entledigen - lässt Werner Brix seine Bühnenfigur aus der Schule der missglückten Lebensplanung berichten. Und ganz oben auf der Liste der zu besprechenden Themen steht die Frage: "Warum macht man aus einem schönen Gefühl zwischen zwei Menschen gleich eine Beziehung oder gar mehr?"
Warum heiraten?
"Warum wollen Menschen heiraten? Warum ist man immer gleich deppert? Was hat Ehe mit Liebe oder einer harmonischen Beziehung zu tun? Ehe ist eine Firma, eine Gesellschaft, da geht es um Erb- und Sorgerecht; Ehe ist eine Zweckgemeinschaft für billigeres Wohnen und zur Vermehrung des Wohlstandes", lässt Werner Brix seine Bühnenfigur wettern. Und dann tritt er zu einer Abrechnung mit den scheinbar wichtigen und den wichtigen Themenbereichen des Lebens an:
"Zeitgeistiges, Politik, Kabarett - wen interessiert das schon", sagt der Künstler enerviert: "Ich will kein Kabarett mehr machen; das interessiert mich nicht. Wen bitte soll ich noch karikieren? Politiker, die rechts überholen, weil es sich links staut? Da kann ich als Kabarettist nichts mehr sagen, weil es mein Hirn nicht aushält. Wir können über Blumen reden, weil die wachsen."
Simulierter Alltag
Im Laufe des Abends entschließt sich der Künstler, sein Beziehungsleben anhand des Computerspiels "Die Sims" zu rekonstruieren und neu zu bewerten. Was im Simulationsspiel relativ einfach zu erkennen ist, bleibt dem Menschen im normalen Alltag oft verborgen - zum Beispiel Warnsignale, die das nahende Zerwürfnis in einer Partnerschaft ankündigen:
"Dieses Computerspiel kommt in meinem Programm vor, weil es eine geniale Möglichkeit ist, gesellschaftliche Probleme in ein Spiel zu verpacken. 'Die Sims' - das ist ja wirklich ein Gesellschaftssimulationsspiel: Mann, Frau, Kinder, die kann man alle generieren und muss dann darauf achten, dass sie sich verlieben, ein Hobby haben und so weiter. Das ist schon dem Leben abgeschaut; wenn die Spielfiguren nicht zusammenpassen, werden sie sich gegenseitig nie sympathisch sein. Und deswegen habe ich mir das Spiel hergenommen. Ich habe es durch meinen ältesten Sohn kennengelernt und amüsiere mich heute noch über gewisse Dinge, die darin vorkommen; etwa wenn man für seine generierte Familie einen neuen Gegenstand kauft und in die Wohnung stellt, dann kommen alle, schauen sich das an, und die einen sagen 'hurra', und die anderen 'bäh', und man weiß, es wird bald Ärger geben."
Nichts im grünen Bereich
Im Simulationsspiel lässt Werner Brix seine Bühnenfigur anhand von Warnsignalen erkennen, ob jemand frustriert ist, ob die sozialen Kontakte und Komponenten reaktiviert werden sollten und Ähnliches mehr. Das Aktionsangebot für den Mitwirkenden von außen reicht im Spiel von Tanzen über Flirten bis hin zum Kitzeln: im realen Alltag vielleicht etwas zu wenig, aber immerhin.
Mit "Unter Zwang" ist Werner Brix ein heiteres Kammerstück geglückt, das die Intensität menschlichen Leids erahnen lässt, ohne dabei die handelnden Personen zu denunzieren. Es darf gelacht werden, es darf über erlebte Probleme berichtet werden, aber eben im Lichte der Satire und niemals aus der Perspektive eigener Betroffenheit. Dieser Grenzgang ist dem Kabarettisten gelungen. Am Ende eines intensiven Abends mit humorvoller Komponente kann der Künstler die Bühne ohne Fesseln verlassen, dem Veranstalter verzeihen und dem Publikum noch letzte wertvolle Haushalts-Tipps mit auf den Weg geben.
Eine Veranstaltung live aus dem Oval im Salzburger Europark mit Unterstützung von Wien Energie
Hör-Tipp
Kabarett direkt, Freitag, 12. Oktober 2007, 20:00 Uhr
Links
Werner Brix
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kabarett.cc