Hainan, die größte chinesische Insel
Paradies zwischen Gestern und Morgen
Die größte chinesische Insel liegt im Südosten des Reichs der Mitte. Heute gilt Hainan einerseits als Refugium für betuchte chinesische Urlauber, andererseits als Paradies für Biologen, die von der einmaligen Biodiversität schwärmen.
8. April 2017, 21:58
Ling reibt Kokosöl auf meine Füße, massiert die kleinen Zehen ebenso liebevoll wie die großen, drückt ihren Handballen gegen die Fußsohle und lächelt. Ling, keine 25 Jahre alt, stammt aus der Stadt Sanya im Süden der chinesischen Insel Hainan und arbeitet als Masseuse in einem Spa Resort eines 5-Sterne-Hotels. Ihre Arbeitsstelle ist ein abgeschirmtes, luxuriöses Refugium, ausgestaltet mit edlen Hölzern, viel Glas und poliertem Marmor. Monatlich verdient sie gerade so viel wie ein Doppelzimmer mit Blick über die breite Yalong-Bucht pro Tag kostet. Dafür aber, betont sie, sei die Verpflegung inklusive.
Tropische Biosphäre
Nur unweit der Spa-Anlage des Hotels zieht über ein Dutzend einheimische Fischer mit gemeinsamer Anstrengung ein fußballfeldgroßes Netz aus dem Meer. Vielleicht wären sie glücklich, auch so einen Job wie Ling zu haben - zumindest was den Verdienst angeht, denn die Fischbestände in Strandnähe sind in den vergangenen Jahrzehnten stark zurückgegangen. So ist es zunehmend lukrativer geworden, nach Muscheln zu tauchen, um sie betuchten, chinesischen Urlaubern aus Hongkong und dem südchinesischen Raum, die den überwiegenden Teil der Inselgäste ausmachen, am Strand feilzubieten.
"Das Paradies ist noch nicht verloren." Mit diesem Spruch werben die Hoteliers der Insel Hainan, die, ein wenig größer als Sizilien, zu den weltweit selten gewordenen, so genannten "biodiversity hotspots" gehört: Dazu zählen Regionen mit einer unberührten Biosphäre und einer Vielzahl endemischer Pflanzenarten. Dabei wurde bis vor rund zehn Jahren die tropische Biosphäre gnadenlos dezimiert: War bis in die 1950er Jahre noch gut ein Drittel der Gesamtfläche des Eilands mit tropischen Regenwäldern bedeckt, so haben großflächige Rodungen und rücksichtsloses Abholzen die Fläche auf 300.000 Hektar schrumpfen lassen, gerade mal ein Zehntel der Gesamtfläche Hainans.
Quasi in letzter Minute wurden die Regenwälder von der chinesischen Regierung unter Naturschutz gestellt. Dadurch wurde nicht nur der Fortbestand einer Flora von einzigartigem Artenreichtum gesichert, sondern auch das natürliche Habitat der vom Aussterben bedrohten Spezies wie Gibbons, Schwarzbären und Leoparden. Sie leben - im feuchten Dickicht des Dschungels verborgen - in den Bergen des Regenwalds zwischen 700 und 1.800 Meter Höhe.
Grenze des Himmels und der Erde
Was heute - neben einem Besuch an der großen Mauer - zu den Wunschträumen der Chinesen zählt, galt einst als schreckliche Vorstellung: "Grenze des Himmels und der Erde" nannten frühere Inselbewohner den südlichsten Punkt der Insel und meinten das durchaus nicht positiv. Lange hatte die Insel als Verbannungsort gegolten, wohin in Ungnade gefallene kaiserliche Beamte und später auch Regimekritiker deportiert wurden.
Ob sie denn schon einmal an jenem südlichsten Punkt der Insel gewesen wäre, will ich von Ling wissen, die in einer angenehm sanften Streichbewegung gerade meine Waden entlangfährt. Da entkommt ihr ein Lachen: "Nein, aber vielleicht, wenn ich den richtigen Mann gefunden habe!" Denn die "Grenze des Himmels und der Erde" bei Sonnenuntergang gelte unter den Frischvermählten als beliebtestes, wenn auch postkartenkitschiges Fotomotiv.
Hör-Tipp
Ambiente, Sonntag, 22. Jänner 2006, 10:06 Uhr
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