Expertenmeinungen zum "Tag des Judentums"
Im jüdischen Glauben verwurzelt
Bereits zum siebenten Mal fand diese Woche in ganz Österreich der "Tag des Judentums" statt, an dem erinnert werden soll, dass eigentlich das Christentum aus dem Judentum entstanden ist. Mit diesem Thema beschäftigte sich auch eine Expertentagung in Wien.
8. April 2017, 21:58
Theologe Helmut Nausner über den "Tag des Judentums"
Vom 18. bis 25. Jänner findet weltweit die "Gebetswoche für die Einheit der Christen" statt. Jeweils am Tag davor wird in ganz Österreich mit zahlreichen Veranstaltungen der "Tag des Judentums begangen. Initiator dieses Gedenktages, der übrigens heuer bereits zum siebenten Mal stattgefunden hat, ist der Ökumenische Rat der Kirchen in Österreich.
Der "Tag des Judentums" soll vor aller Verschiedenheit der Religionen vor allem ins Bewusstsein rufen, dass das Christentum aus dem Judentum heraus entstanden ist. Bei einer interreligiösen Tagung in Wien behandelten Experten u. a. die historisch belastete Geschichte zwischen Christen und Juden sowie den modernen Antisemitismus.
Die gemeinsamen Wurzeln
Vor allem in Wien prägen noch immer jiddische Ausdrücke die Alltagssprache: Da empört man sich über die "Chuzpe" oder erklärt skurrile Zeitgenossen einfach für "meschugge". Man schwärmt auch heute noch von den jüdischen Kabarettisten der Zwischenkriegszeit. Und nicht wenige schätzen die Filme des amerikanischen Regisseurs Woody Allen, der das Judentum in seinen verschiedenen Erscheinungsformen immer wieder liebevoll aufs Korn nimmt.
Mit dem Judentum als Religion, mit seiner tragischen Geschichte und mit der Schuld, die Christen hier auf sich geladen haben, beschäftigt man sich eher weniger. Um hier Abhilfe zu schaffen, wurde der "Tag des Judentums" ins Leben gerufen. Er steht für die Einheit der Christen, für ihre gemeinsamen Glaubenswurzeln und soll den gemeinsamen Dialog zwischen Christen und Juden weiter ausbauen, betont Helmut Nausner, methodistischer Theologe und Präsident des Koordinationsausschusses für christlich-jüdische Zusammenarbeit:
"Wenn Jesus beispielsweise seine Jünger lehrt, das Vater Unser zu beten, jenes Gebet, das allen Christen gemeinsam ist, dann greift er dabei natürlich auf jüdische Vorlagen zurück. Jede einzelne Zeile des Vater Unser hat ihre Entsprechung in der jüdischen Tradition. Das Judentum ist die Wurzel des Christentums. Oder anders gesagt: Christen, die nichts vom Judentum verstehen, verstehen die Grundlagen ihres eigenen Glaubens nicht".
Der Antisemitismus als Sünde
Als der sogenannte Weltkirchenrat am 23. August 1948 in Amsterdam gegründet wurde, ist bei seiner konstituierenden Versammlung ein Text angenommen worden, der den Antisemitismus eindeutig als Sünde bezeichnete und die Kirchen aufforderte, sich davon zu distanzieren. Auch die römisch-katholische Kirche, die ja dem Weltkirchenrat bis heute nicht angehört, hat ihre Haltung zum Judentum in dieser Hinsicht entscheidend verändert. Den Wendepunkt stellt das zweite Vatikanische Konzil und besonders das vor gut 40 Jahren veröffentlichte Dokument "Nostra Aetate" dar.
Nach Jahrhunderten der Judenfeindschaft werden hier u. a. die bleibende Verbindung der Kirche mit dem Judentum gewürdigt, die pauschale Verurteilung des jüdischen Volkes für den Kreuzestod Jesu wird zurückgewiesen und jegliche Form des Antisemitismus verurteilt.
Gemeinsamer Dialog wichtig
Der engagierte Judaist und Orientalist Jacob Allerhand betont, dass der christlich-jüdische Dialog gerade heute ungeheuer wichtig sei, so wie er heute geführt wird allerdings einiges zu wünschen übrig lasse: "Außerhalb Wiens, wo heute der Großteil mit etwa 12.000 Juden angesiedelt ist, ist es schwierig, aufgrund der kleinen Zahl engagierte Juden zu finden, die sich regelmäßig an christlich-jüdischen Dialogveranstaltungen beteiligen", sieht er gewisse Schwächen innerhalb Österreichs.
Der aus Chicago stammende Theologe John Pawlikowski beurteilt die Qualität des Dialoges wesentlich positiver. Als römisch-katholischer Priester und Präsident des internationalen Rates der Christen und Juden meint er zwar, dass der formale Dialog seine Grenzen habe, man sei aber auch außerhalb dieses Dialogs automatisch mit dem Wissen über das Judentums beschäftigt und konfrontiert: "In Textsammlungen und Übersetzungen beispielsweise versucht man, den Christen den jüdischen Glauben näher zu bringen. Dabei verändert sich das Denken der Menschen, und das ist wichtig. Der Dialog zwischen Juden und Christen hat jedenfalls zu einem besseren Miteinander geführt. Auch innerhalb des Judentums wächst das Vertrauen, dass die christlichen Kirchen es ernst meinen mit ihrem Schuldbewusstsein, mit ihrer Kooperationsbereitschaft und ihrer Offenheit", sagt er.
Redet Wahrheit!
Im Jahr 2000 ist das jüdische Dokument "Dabru Emet" erschienen. Dabru Emet bedeutet so viel wie "Redet Wahrheit", und das Papier, das diesen Titel trägt, ist innerhalb des Judentums nicht gänzlich unumstritten. Es reagiert aber höchst positiv auf die veränderte Haltung der Kirchen gegenüber dem Judentum, wie ein Auszug daraus beweist:
Wir sind davon überzeugt, dass diese Veränderungen eine wohl bedachte jüdische Antwort verdienen. Als eine Gruppe jüdischer Gelehrter unterschiedlicher Strömungen ist es unsere Überzeugung, dass es für Juden an der Zeit ist, die christlichen Bemühungen um eine Würdigung des Judentums zur Kenntnis zu nehmen. Wir meinen, es ist für Juden an der Zeit, über das nachzudenken, was das Judentum heute zum Christentum zu sagen hat.
Gemeinsam sozial handeln
Der amerikanische Theologe John Pawlikowski betont, dass das gemeinsame Tun, vor allem das gemeinsame Engagement in Sozialfragen, von entscheidender Bedeutung sei: "Katholiken, Protestanten und Juden haben zum Beispiel in den 1930er und 1940er Jahren miteinander viel unternommen, um die Situation der Arbeiter in den USA zu verbessern. Dabei hat man einander kennen gelernt und Vorurteile gegenüber den anderen abgebaut. Da ist es um menschliche Kontakte gegangen, nicht um theologische Diskussionen".
Das gemeinsame Handeln unterstreicht auch Kardinal Jean-Marie Lustiger, emeritierter Erzbischof von Paris und nennt heutige Beispiele: "Es gibt u. a. eine Initiative, die Situation von Kindern in Chile zu verbessern. Hier arbeitet die amerikanische Bischofskonfenrenz mit jüdischen Organisationen zusammen, um Hilfsmaßnahmen für bedürftige Kinder schnell und unbürokratisch in die Tat umzusetzen. Eine weitere christlich-jüdische Initiative ist die Einrichtung von Fabriken für die Produktion von Medikamenten zur AIDS-Bekämpfung in Afrika".
Allgemein ist man sich jedenfalls einig, dass eine Zusammenarbeit zwischen Juden und Christen die beste Methode ist, um dem Antisemitismus etwas entgegen zu halten: "auf jeden Fall effizienter, als sich nur darüber zu beklagen", ergänzt Kardinal Lustiger.
Hör-Tipp
Logos, Samstag, 21. Jänner 2006, 19:05 Uhr
Download-Tipp
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Links
ÖRKÖ - Tag des Judentums
Sozialwort Salzburg - Gebetswoche für die Einheit der Christen